Dennis Bühler – Journalist

Recherchen, Reportagen, Portraits, Interviews und Analysen zu Politik, Medien, Gesellschaft und Sport

Abgestrafte Missionare und Revolutionäre

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Die Abwahl des Walliser Staatsrats Oskar Freysinger erinnert an jene Christoph Blochers aus dem Bundesrat. Als Missionare weigerten sich beide, ihren Stil dem Amt anzupassen – und scheiterten.

Eine Analyse, erschienen am 21. März 2017 in der Südostschweiz sowie der Aargauer Zeitung / Nordwestschweiz.

Auch in der Niederlage sind sie sich ähnlich: Genauso wenig wie Christoph Blocher die Gründe für seine Abwahl aus dem Bundesrat im Jahr 2007 bei sich suchte, zeigt sich Oskar Freysinger fähig zur Selbst­kritik. Am Sonntag blieb er in Savièse, statt sich in Sitten den Fragen der Medien zu stellen oder wenigstens seinen dort versammelten Anhängern für die Unterstützung im Wahlkampf zu danken. Und auch am Tag nach seiner grossen Entttäuschung ging der 57-Jährige, der noch bis Ende April Walliser Bildungsdirektor ist, auf Tauchstation. Blocher blieb nach der Abwahl aus der Landesregierung tonangebend in der Schweizer Politik und vor allem in seiner SVP. Freysinger hingegen hat bereits nach dem ersten Wahlgang angekündigt, sein Leben neu zu erfinden und sich vermutlich aus der Politik zu verabschieden, wenn es auch beim zweiten Versuch nicht klappen sollte. «Ich habe genug gelitten», klagte er dem «Blick». «Seit 20 Jahren gehe ich durch die Hölle.»

Freysinger, der nach vier Jahren das Vertrauen der Walliser verlor, und Blocher, der nach ebenfalls bloss einer Legislatur von National- und Ständeräten abgewählt und durch die Bündnerin Eveline Widmer-Schlumpf ersetzt wurde, teilen ein spezielles Selbstverständnis. Beide waren und sind beseelt von einem «Auftrag», den sie mit missionarischem Eifer erfüllen: Blocher mit protestantischem Arbeitsethos, Freysinger als lebensfroher Luftikus, der auch mal Gedichte oder lustige Liedchen zum Besten gab und sich dabei selbst auf der Gitarre begleitete. Der Zürcher kämpfte jahrelang – und nicht ohne Erfolg – für eine neoliberale Wende, der Walliser stellte für den Fall seiner Wiederwahl eine «konservative Revolution» in Aussicht.

(…)

Abgestraft wurde Freysinger – wie einst Blocher – auch wegen seines mangelnden Bekenntnisses zur Konkordanz und seinen Schwierigkeiten mit dem Kollegialitätsprinzip. Beides wird in der Schweizer Politik, die eine Kultur der Machtteilung kennt, in der Regel nicht verziehen: Die Bevölkerung, welche die Kantonsregierung wählt, und das Parlament, das den Bundesrat bestellt, ziehen die graue Maus dem Selbstdarsteller vor (deshalb wurde für die SVP vor 15 Monaten Guy Parmelin in den Bundesrat gewählt und nicht Thomas Aeschi oder Norman Gobbi). Wenn ein Showman doch eine Chance erhält, muss er sie nutzen – sonst erhält er nach vier Jahren die Quittung.

Im Amt mässigten sich Blocher und Freysinger kaum. Stattdessen blieben sie im ständigen Wahlkampfmodus, der ihrer Partei bei Parlamentswahlen grossen Erfolg brachte und nach wie vor bringt. Ein Beispiel: Wenige ­Monate vor seiner Abwahl inszenierte sich Blocher auf dem Zürcher Uetliberg in fast biblischer Manier als Retter des Landes, der «einen Rückfall in die zerstörerische Politik der Illusionen und des Realitätsverlusts», ja «in die Politik des Niedergangs» zu verhindern wisse – ein einmaliger Akt in der Schweiz, in der Bundesräte normalerweise darauf bedacht sind, sich nicht allzu sehr vor den Karren ihrer Partei spannen zu lassen.

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Written by Dennis Bühler

21. März 2017 um 11:30

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