«Korruption steckt in unseren Genen»
Machtmissbrauch zur Erzielung persönlicher Vorteile sei seit jeher ein Überlebensmechanismus, sagt der österreichische Neuropsychologe und Korruptionsexperte Karl Kriechbaum. Aber Politiker seien systembedingt besonders schlimm.
Ein Interview, geführt als Ergänzung meines tags zuvor publizierten Abschiedsartikels und erschienen am 28. Juni 2018 in der Südostschweiz und der Aargauer Zeitung / Nordwestschweiz.
Herr Kriechbaum, Politiker zeigen sich besonders anfällig für Korruption. Weshalb ist das so?
Der Mensch ist von Natur aus korrupt: Es ist seit jeher ein Überlebens-, Fortpflanzungs- und Selektionsmechanismus, die eigene Macht zur Erzielung persönlicher Vorteile und zum Schaden anderer zu missbrauchen. Korruption steckt in unseren Genen, in unseren psycho-neuronalen Steuerprogrammen.
Dann sind korrupte Politiker bloss menschlich?
Sie sind speziell korrupt. Bürgermeister, Abgeordnete und vor allem Regierungsmitglieder haben die Möglichkeit, anderen Bürgern und Institutionen erhebliche Gefallen zu erweisen, die wesentliche Vorteile für die Begünstigten mit sich bringen. Genehmigungen, Gesetzesänderungen, Verordnungen, Erlasse oder Funktionsbesetzungen stellen bedeutende Machtmittel dar. Deshalb ist alleine schon ein guter Kontakt zu Politikern vielen Lobbyisten, Unternehmern und Managern einiges wert – sei es eine Einladung zu einem noblen Event, Flugtickets für die ganze Politiker-Familie, eine günstige Wohnungsrenovierung oder die Inaussichtstellung eines lukrativen Jobs nach der Politkarriere.
Ist es naiv zu glauben, starke Politiker könnten solchen Verlockungen widerstehen?
Bestimmt gibt es vereinzelt sehr widerstandsfähige Menschen – auch Politiker –, die an solchen Zuwendungen entweder kein Interesse haben oder eine feste ethisch-moralische Kontrollinstanz besitzen, die Derartiges strikt ablehnt. Die Mehrheit der Menschen kann aber gewissen Verlockungen nur schwer widerstehen. Eine kurzfristige attraktive Belohnung wirkt eben deutlich stärker als die vage Aussicht auf eine langfristige Bestrafung. Die Wurzeln dafür stellen zum Teil psychologische Faktoren dar, der Impuls liegt aber in den physiologischen, neuronalen Strukturen und Prozessen.
Wie meinen Sie das?
Die moderne Hirnforschung zeigt: Der Antrieb für alle unsere Aktivitäten hat aller Wahrscheinlichkeit nach einen unbewussten, subkortikalen Ursprung. Wir Menschen können jedoch – und dies unterscheidet uns von den Affen – durch bewusst-willentliches Denken ein Veto gegen diese unbewussten Initiativen und Prozesse einlegen, diese also überstimmen.
Warum sind wir dann nicht weniger korrupt als Affen?
Leider ist diese Korrekturfähigkeit nicht jedem in ausreichendem Masse gegeben. Abgesehen davon haben es gerade Menschen, bei denen es gut läuft, nicht nötig, ihre Antriebe, Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen zu korrigieren. Das bedeutet, dass vor allem erfolgreiche Unternehmer, Manager und Politiker, die ihren grossen Erfolg nicht selten mit korruptoider Arbeitsweise errungen haben, am wenigsten dazu motiviert sind, ihren Stil zu ändern.
Written by Dennis Bühler
28. Juni 2018 um 13:40
Veröffentlicht in Aargauer Zeitung, Die Südostschweiz
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