«Auf einmal krochen parteiinterne Heckenschützen hervor»
Die 85-jährige Judith Stamm ist eine Ikone der Schweizer Frauenrechtsbewegung. Die langjährige CVP-Nationalrätin über ihre Anfänge als Polizeiassistentin, ihren Kampf für die Fristenregelung, ihre gescheiterte Bundesratskandidatur – und die Gründe, warum sie sich nicht am Frauenstreik beteiligt.
Ein Interview, erschienen am 10. Juni 2019 im Onlinemagazin Republik und geführt gemeinsam mit Andrea Arezina.
Frau Stamm, Sie waren 25 Jahre alt, als die stimmberechtigten Schweizer Männer die Einführung des Frauenstimmrechts ablehnten. Was ging Ihnen damals durch den Kopf?
Das war für mich gar kein Thema. Ich kam ja nicht als Feministin zur Welt. 1959 war ich Studentin der Rechtswissenschaften an der Universität Zürich, ziemlich naiv und politisch nicht engagiert. Ich hatte nicht das Gefühl, dass Politik mich etwas angehe. Die Männer kümmerten sich darum.
Die Männer liessen Sie auf eidgenössischer Ebene erst zwölf Jahre später mitwählen und -abstimmen. Verspürten Sie keine Wut, bis 1971 in einer Welt zu leben, in der Sie als Frau kein Mitspracherecht hatten?
Ach, woher.
Wirklich nicht?
Schauen Sie: Es war einfach so. Ich stellte das lange Zeit gar nicht infrage.
Wie wurden Sie zur Feministin, als die Sie seit Jahrzehnten bekannt sind?
Das war ein schleichender Prozess, ohne eigentliches Erweckungserlebnis. Dass etwas nicht stimmt, bemerkte ich erstmals, als ich nach Abschluss meines Studiums ein Praktikum am Bezirksgericht im zürcherischen Uster absolvierte. Als ich mich dann dort als Gerichtsschreiberin bewerben wollte, beschied man mir: «Verzeihen Sie, Fräulein, aber wir können Sie nicht nehmen. Nach kantonalem Gesetz dürfen Sie diese Stelle ohne politische Rechte nicht antreten.»
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