Dennis Bühler – Journalist

Recherchen, Reportagen, Portraits, Interviews und Analysen zu Politik, Medien, Gesellschaft und Sport

«Gerigate» – ein Märchen für Erwachsene

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Gerigate - Märchen für Erwachsene, BildSeit zehn Tagen bewegt die Nacktselfie-Affäre um Grünen-Nationalrat Geri Müller das Land. Noch ist die Faktenlage nicht restlos geklärt, doch schon jetzt steht fest: «Gerigate» folgt den typischen Linien eines Medienskandals.

Eine Analyse, erschienen am 27. August 2014 in der Südostschweiz sowie auf www.suedostschweiz.ch

Die «Schweiz am Sonntag» versuchte von Anfang an, dem Fall Geri Müller eine politische Note zu verleihen, obgleich sich die ursächlich skandalisierten Vorgänge – die Aufnahme der Nacktselfies – in der Privatsphäre Müllers abgespielt hatten. «Auch aus dem Nationalratssaal schickte der Politiker seiner damaligen Geliebten fragwürdiges Bildmaterial», schrieb Chefredaktor Patrik Müller. Trotz des Bemühens, eine politische Relevanz zu beschwören, stellte Patrik Müller jenen Aspekt in den Mittelpunkt seiner Berichterstattung, mit dem die fettesten Schlagzeilen zu machen waren: Sex. Nicht zufällig lautete der Titel des Artikels: «Nacktselfies aus dem Stadthaus.» Den allfälligen Ungereimtheiten um den Polizeieinsatz und dem implizierten Machtmissbrauch Geri Müllers (auf den heute nichts mehr hindeutet) mass er geringere Bedeutung zu. Der Zeitung ging es um die moralische Anstössigkeit der Handlungen des Politikers. Andere Medien adaptierten diese Erzählweise. Der «Blick» etwa schrieb in seiner typisch verkürzenden und verletzenden Weise, «Grüsel-Geri» lasse «die Hosen runter».

(…)

In vielem ist der Fall Müller ein Paradebeispiel eines Medienskandals – denn erst durch die Berichterstattung der «Schweiz am Sonntag» wurden die Nacktselfies von Geri Müller zum Skandal, erst die Veröffentlichung und die darauf folgenden Recherchen und aufgedeckten politischen Verstrickungen schufen eine (Schein-)Relevanz. Speziell ist die Affäre jedoch insofern, als sich der Skandalisierte im Amt halten könnte. Und dafür der Druck auf jene steigt, die die Veröffentlichung zu verantworten haben.

Und so erinnert «Gerigate» an die medienethische Verantwortung eines jeden Journalisten. Denn in einem ist der moderne Medienpranger sogar brutaler als jener, der moralisch Fehlbare im Mittelalter und bis ins 19. Jahrhundert öffentlicher Schande aussetzte: Stand der Pranger früher am Ende eines Skandals, steht er im Medienzeitalter an dessen Beginn. Zuerst wird gebrandmarkt, dann hinterfragt.

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Written by Dennis Bühler

28. August 2014 um 10:00

Veröffentlicht in Die Südostschweiz

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Eine Antwort

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  1. […] von Intimität und Torpedierung des Politikers, narrativ ein Märchen für Erwachsene? Eher Science-Fiction und Fantasy, Star Wars. Nicht nur weil das Märchen schematisch eng ist und […]


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