Zahmer Toni Brunner, netter Albert Rösti
Statt ihren Sieg auszukosten und lautstark Forderungen zu stellen wie nach früheren Wahlen, gibt sich die SVP-Führung zurückhaltend – ein bewusster Strategiewechsel.
Eine Analyse, erschienen am 23. Oktober 2015 in der Südostschweiz sowie tags zuvor in der Nordwestschweiz / Aargauer Zeitung.
Ist die SVP auf einmal nett und harmlos geworden? Oder erweist sie sich ganz einfach einmal mehr als Partei gewiefter Strategen? Erstere These kann schnell ad absurdum geführt werden: Inhaltlich bleibt die SVP knallhart. Die zweite These hingegen wird selbst vom Berner SVP-Nationalrat und -Wahlkampfleiter Albert Rösti bestätigt: Man habe sich die neue Zurückhaltung ganz bewusst auferlegt, sagt er. «Wir haben 2007 und 2011 die bittere Erfahrung machen müssen, dass das Parlament das Wahlresultat und unsere Kandidaten ignorierte. Daraus haben wir gelernt: Wir wollen keinen Anti-Reflex provozieren – und verzichten deshalb auf allzu laute Forderungen.»
Form vor Inhalt – diese Strategie ging voll auf. «Wir wussten, dass wir bereits gross genug sind, um nicht mehr so provozieren zu müssen wie früher, als die SVP auf Wachstum angewiesen war, um Einfluss zu erlangen», sagt Rösti. Diese inhaltliche Zurückhaltung habe sich bewährt, vor den Bundesratswahlen behalte man diesen «unaufgeregten Stil» bei. Die SVP kann es sich leisten: So unaufgeregt sie sich gibt, so aufgeregt sind die Medienschaffenden (die «Südostschweiz» bildet hier keine Ausnahme). Seit dem Wahlsonntag ist kein Tag vergangen, an dem nicht neue Kandidaten lanciert worden wären, die an der Seite des Bisherigen Ueli Maurer für die SVP in den Bundesrat einziehen könnten – obwohl die Partei erst am 20. November entscheiden will, mit welchem oder welchen Kandidaten sie antritt.
Parteipräsident Toni Brunner gibt sich gegenwärtig nicht deshalb staatsmännisch, weil er selbst Ambitionen auf das hohe Amt hätte. Sondern weil dieses Auftreten seiner SVP momentan am meisten nützt. Es nützt ihr genauso wie das Rätselraten um den Bundesratskandidaten, das noch vier Wochen andauern dürfte. Schon immer war die SVP Schweizer Meisterin darin, Aufmerksamkeit zu erheischen. Für einmal tut sie dies leise statt laut. Aber es gelingt ihr auch dieses Mal.
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