Die Rüstungsindustrie ist schon zügellos genug
Schweizer Rüstungsfirmen exportierten im vergangenen Jahr so wenig Kriegsmaterial wie nie seit 2006, obwohl die Politik die Gesetzgebung bereits stark gelockert hat. Um der taumelnden Branche zu helfen, überlegt der Bundesrat nun, wieder Ausfuhren in Staaten zu genehmigen, die in Jemen Krieg führen. Das wäre ein falsches Zeichen.
Eine Analyse, erschienen am 24. Februar 2016 in der Südostschweiz sowie der Aargauer Zeitung / Nordwestschweiz.
Die Schweizer Rüstungsindustrie leidet: Seit Jahren ist Europa ihr wichtigster Absatzmarkt, im Vergleich zu 2014 aber ist der Export in europäische Staaten im vergangenen Jahr um mehr als 30 Prozent eingebrochen. Ob das auf Flugabwehrkanonen spezialisierte Zürcher Unternehmen Rheinmetall Air Defence, die Thurgauer Panzer-Expertin Mowag oder der Bundesbetrieb Ruag, einer der weltweit grössten Exporteure von Kleinkaliber-Munition: keine Rüstungsfirma, der die Frankenstärke nicht zu schaffen machen würde.
Die neuesten Zahlen, die das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) gestern in Bern präsentierte, bestätigen zwar den kurzfristigen Niedergang der Rüstungsindustrie, nähren aber gleichzeitig auch deren Hoffnung auf baldige Erholung. Denn auch wenn Schweizer Unternehmen im vergangenen Jahr für lediglich 447 Millionen Franken Kriegsmaterial exportiert haben, was dem tiefsten Wert seit 2006 und im Vergleich zu 2014 einem Rückgang um 21 Prozent entspricht, ist das Volumen neuer Bewilligungen 2015 um 35 Prozent auf 769 Millionen Franken gestiegen. Entsprechend ist in den nächsten Jahren – wenn den erteilten Bewilligungen tatsächliche Ausfuhren folgen – ein Exportanstieg zu erwarten. Jahresbilanzen sind nun mal mit Vorsicht zu geniessen. Erst recht bei jenen Geschäften, die sich über mehrere Jahre erstrecken.
Der Bundesrat tut deshalb gut daran, der Rüstungsindustrie nicht noch weiter entgegenzukommen. Zum einen, weil die Gesetzgebung für Waffenexporte in den vergangenen Jahren bereits gelockert worden ist; zum anderen, weil mehr Schweizer Kriegsmaterialexporte – und vor allem Lieferungen an zwielichtige Abnehmer – den Erfolg der Schweizer Friedens- und Neutralitätsdiplomatie gefährden würden.
Ende 2014 stimmte das Parlament der Revision der Kriegsmaterialverordnung zu: Seither können Exportgesuche bewilligt werden, wenn das Risiko gering erscheint, dass das auszuführende Kriegsmaterial zur Begehung von schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen eingesetzt wird. Zwar soll die Wirkung dieses Artikels bisher marginal sein, wie Simon Plüss, Leiter Rüstungskontrolle des Seco, sagt. Er habe einzig eine Lieferung von Fliegerabwehr-Systemen nach Pakistan ermöglicht. Dennoch bleibt dieser Passus stossend: Sollen Schweizer Firmen Waffen liefern dürfen, auch wenn man um das Risiko weiss, dass diese gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden könnten? Sollen sie Waffen liefern dürfen, weil diese «bloss» zu «nicht schwerwiegenden» Menschenrechtsverletzungen taugen?
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