Milchbauern schlagen Alarm – und streiten über die Zukunft
Nach einem Preiszerfall erhalten Bauern pro Liter Milch heute so wenig Geld wie vor 50 Jahren. In Bern wollen Produzenten, Verarbeiter und Händler heute Wege aus der Krise finden. Doch die Einheit täuscht: In der Branche schwelt ein Streit über die eigene Ausrichtung und Zukunft
Ein Hintergrundartikel, erschienen am 27. Mai 2016 in der Südostschweiz sowie der Aargauer Zeitung / Nordwestschweiz.
Die Situation ist gravierend, so weit sind sich alle einig. Schon 2015 hatten die Bauern 10,6 Prozent weniger für ihre Milch erhalten als im Vorjahr, in den ersten fünf Monaten des Jahres 2016 nun hat sich der Preiszerfall unvermindert fortgesetzt. 21765 Milchbauern zählte das Bundesamt für Statistik Anfang Jahr, mittlerweile dürften einige von ihnen ihren Betrieb aufgegeben haben. Allein in den Jahren 2014 und 2015 hatten 800 Milchbauern keine Perspektiven mehr gesehen. «Die Lage ist desolat und die Perspektiven unerfreulich – viele Molkereimilchproduktionsbetriebe sind akut in ihrer Existenz bedroht», sagt stellvertretend Hanspeter Kern, Präsident der Schweizer Milchproduzenten.
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Weit auseinander gehen die Ansichten innerhalb der Milchbranche, wenn man die Frage nach den Schuldigen stellt – sowie die Meinungen darüber, was denn kurz- und langfristig zu tun sei, um fit für die Zukunft zu werden. Die Lage der Branche sei bezüglich der Verteilung der Wertschöpfung mit einem Passagierschiff vergleichbar, sagt Ritter. «Es gibt Matrosen, die einheizen und das Schiff so voranbringen – das sind die Milchbauern; und es gibt solche, die bequemere Plätze besetzen.»
Was Ritter mit diesem Bildnis meint: Während die Produzenten immer kleinere Beträge erhalten, sind die Preise der Milchprodukte im Detailhandel nur wenig gesunken. Sein impliziter Vorwurf: Molkereien und Detailhändler hätten auf Kosten der Bauern ihre Margen ausgebaut. Ins gleiche Horn hatte die Organisation der Milchproduzenten schon im März gestossen, als sie sich in einem Communiqué beklagte, die Krise würde einseitig auf dem Buckel der Milchproduzenten und ihren Familien ausgetragen. Heute sagt SMP-Direktor Kurt Nüesch, es sei Realität, dass die Milchbauern am Schluss der Kette stünden. «Die nachgelagerten Stufen tragen kaum mit und wälzen auf sie ab.»
Markus Zemp, Chef der Branchenorganisation Milch, winkt ab. «Diese Erklärung greift viel, viel zu kurz.» Seiner Vereinigung gehören 44 regionale und nationale Organisationen der Milchproduzenten und -verarbeiter sowie Einzelfirmen der Industrie und des Detailhandels an. Statt nun mit dem Finger aufeinander zu zeigen, sollten die Milchbauern endlich der Realität ins Auge blicken und sich neu aufstellen, fordert er. «Weil die Produktionspreise in der Schweiz viel höher sind als im angrenzenden Ausland, sollten sie nicht länger mit diesem konkurrieren.» Spätestens, wenn das Freihandelsabkommen TTIP zwischen den USA und der EU fertig verhandelt sei und die Schweiz nicht abseitsstehen wolle, würden offene Grenzen Tatsache. «Darauf müssen wir uns vorbereiten.» Zemp verweist auf die von seinem Verband im letzten Herbst aufgegleiste «Mehrwert- und Qualitätsstrategie». Im Kern propagiert diese, die Schweizer Milchbranche solle sich aufs Hochqualitäts- und Hochpreissegment konzentrieren.
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