Mit Feldschlösschen und Cervelat für die Pressefreiheit
Vor 40 Jahren legten die Journalisten der Migros-Zeitung «TAT» ihre Arbeit nieder, um gegen die Wahl eines als zu angepasst empfundenen Nachfolgers für den abgesetzten Chefredaktor Roger Schawinski zu protestieren. Hat sich ihr Streik gelohnt?
Ein Rückblick, erschienen am 21. September 2018 im Onlinemagazin Republik.
Die Glocke der nahen Johanneskirche schlägt zum zwölften Mal, als sich ein Mann im blauen Overall daranmacht, die Türschlösser des Migros-Pressehauses am Zürcher Limmatplatz auszutauschen. Es ist Samstagmittag, 23. September 1978, die Redaktion der Tageszeitung «TAT» befindet sich seit genau 24 Stunden im Streik. Nun ist sie ausgesperrt. Es gibt kein Zurück mehr.
Die Beteiligten wissen, dass sie gerade ihre grösste Geschichte schreiben: «Man wird in Jahrzehnten noch von diesem Tag sprechen», lässt sich einer von ihnen in der Presse zitieren. Zum ersten Mal in der Geschichte der Schweiz haben streikende Journalistinnen und Journalisten die Herausgabe einer Zeitung verhindert: An diesem Samstag ist keine «TAT» erschienen. Der Streit, der seit Monaten schwelt, ist vollends eskaliert.
Anderthalb Jahre zuvor, im April 1977, ist die Redaktion mit einem grossen Versprechen gestartet. «Ihr Monopolisten. Ihr Profiteure. Ihr Spekulanten. Ihr Scharlatane. Ihr Bauernfänger. In der ‹TAT› werden wir Euch auf frischer Tat ertappen.» So prangt es in der ganzen Deutschschweiz auf Plakaten, in schwarzer Schrift auf orangefarbenem Hintergrund. Dem Migros-Orange.
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«Wir waren Romantiker», sagt der damalige Streikführer und heutige «Weltwoche»-Kolumnist Kurt W. Zimmermann. «Zutiefst überzeugt, dass Journalismus frei von jedem äusseren Einfluss sein sollte.» Sie hätten damals noch nicht erkannt oder noch nicht einsehen wollen, dass die Verleger am längeren Hebel sässen. «Ich glaube, wir hatten damals ein gutes Gespür. Wir sahen es kommen, wie Journalisten von Freigeistern zu Verlagsangestellten werden sollten.»
An den Streik hat Zimmermann, der in den vergangenen vierzig Jahren politisch von weit links nach ziemlich weit rechts marschiert ist, gute Erinnerungen. «Es war eine wochenlang andauernde politische Party: Wir zogen von Beiz zu Beiz, sangen Lieder, betranken uns gelegentlich und diskutierten über Journalismus und Kapitalismus. Es herrschte Revolutionsromantik nach Schweizer Art: Wir wetterten mit einer Stange Feldschlösschen und einem Cervelat gegen die ach so bösen Migros-Oberen.»
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