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Stell dir vor, du wirst in den Nationalrat gewählt. Für wen setzt du dich ein und was ist es dir wert?
Die Glaubwürdigkeit des Milizparlaments steht am Pranger. Welche Nebenämter dürfen Politiker noch annehmen? Eine fiktive Einführung ins politische Lobbying.
Eine fiktive Recherche, erschienen am 2. Oktober 2019 im Onlinemagazin Republik und geschrieben gemeinsam mit Philipp Albrecht.
Und dann bist du gewählt.
Zehntausende Menschen schicken dich, die 31-jährige Grünliberale aus dem Kanton Aargau, nach Bern ins Bundeshaus. Dort sollst du ihre Interessen vertreten.
Was das wohl genau heisst, fragst du dich an diesem 2. Dezember 2019, als du zum ersten Mal in den Nationalratssaal trittst und deinen Platz suchst. «Nicht vergessen, selber zu denken», flüstert dir Parteikollegin und Sitznachbarin Kathrin Bertschy ins Ohr, als hätte sie deine Gedanken gelesen.
Mit lauter Stimme liest Philippe Schwab, Generalsekretär der Bundesversammlung, danach vor, woran du dich während deiner Zeit im Parlament zu halten hast: «Ich gelobe, die Verfassung und die Gesetze zu beachten und die Pflichten meines Amtes gewissenhaft zu erfüllen.» Im Chor mit jenen 81 Nationalrätinnen, die wie du nicht religiös sind und deshalb keinen Eid leisten, sondern ein Gelübde, antwortest du: «Ich gelobe es.»
Vielleicht solltest du zuerst einmal deine eigenen Interessen vertreten, denkst du dir. Das macht man doch als Milizparlamentarierin, die du in der Schweiz bist. Jedes Mitglied des Parlaments bringt einen Beruf mit nach Bern, heisst es. Und damit auch Sympathien für eine Branche. Aber bei dir ist das gar nicht so einfach. Als diplomierte Umweltingenieurin der Eidgenössischen Technischen Hochschule und Mitarbeiterin eines Beratungsbüros für Energieeffizienz hilfst du Firmen, ökologischer zu werden. Macht das dich zu einer Frau der Wissenschaft oder der Wirtschaft?
(…)
Am Morgen nach der Wahlfeier bist du mit pochender Schläfe aufgewacht. Und dem Gedanken: Kann ich das überhaupt?
Gerade einmal drei Jahre Erfahrung bringst du aus dem kantonalen Parlament mit. Als du Anfang 2017 in die Politik eingestiegen bist, konntest du dein Arbeitspensum im Beratungsbüro auf 60 Prozent reduzieren. Du warst dem Chef dankbar dafür.
Und doch musstest du dich oft spätabends und an den Wochenenden noch in politische Dossiers vertiefen. Das fiel dir nicht immer leicht. Dein Partner, der 80 Prozent bei der Aargauer Kantonalbank arbeitet, kann die Betreuung eures dreijährigen Sohnes nur an einem Wochentag übernehmen. An zwei Tagen ist der Kleine in der Krippe. Zwei- bis dreimal pro Monat springen deine Eltern ein.
Trotzdem gab es nie Momente, in denen du den Einstieg in die Politik bereut hättest. Und nun also die nächste Stufe: Nationalrätin!
Written by Dennis Bühler
7. Oktober 2019 at 16:00
Veröffentlicht in Republik
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