Spiessig und hinterwäldlerisch
Musste CDU-Politiker Christian von Boetticher wegen seiner Affäre mit einer 16-Jährigen zurücktreten? Keine Gesetzesverletzung, keine Strafe – von Boetticher hat sich nichts zuschulden kommen lassen.
Ein Kommentar, erschienen am 16. August 2011 in der tageszeitung.
Christian von Boetticher, bis gestern designierter CDU-Spitzenkandidat für die Landtagswahl in neun Monaten, mag ein Opfer seiner Naivität sein. Dass die sexuelle Beziehung zu einer Minderjährigen ihn die politische Karriere kostet, darf nicht überraschen. Dennoch sagt es mehr aus über die Funktionsweise einer sensationsgeilen Presse und einer Öffentlichkeit, der der Blick fürs Wesentliche abhanden gekommen ist. Politiker werden nicht mehr nach Leistungskriterien bewertet. Die Frage ist nicht, ob ein Amtsträger gut regiert, ob er hält,was er vor der Wahl versprochen hat. Oder ob er einen sinnigen,würdigen Wahlkampf bestreitet. Lieber wird mit dem Teleobjektiv in fremde Schlafzimmer gezoomt. Wichtig ist nicht mehr, was im Regierungszimmer vonstatten geht. Entscheidend sind die Bettgeschichten.
Eigentlich aber geht es niemanden etwas an, mit wem Christian von Boetticher unter der Bettdecke verschwindet – solange er sich dabei nicht strafbar macht. An Politiker höhere moralische Ansprüche als an „normale“ Menschen zu stellen, ist heuchlerisch. Sobald ein Prominenter über eine Affäre stolpert, wird mit dem Finger auf ihn gezeigt. Auch wenn er keine Gesetze verletzt hat – sondern höchstens ein Tabu und vage Sittlichkeitskonventionen. In einer zivilisierten Welt mit einer fortschrittlichen Gesetzgebung sollten die Rechtssätze jedoch den gängigen Normvorstellungen entsprechen. Keine Strafe ohne Gesetz – das wussten schon die antiken Römer. Auch wenn von Boetticher keine Strafverfolgung fürchten muss, ist er hart bestraft worden. Sein steiler Aufstieg ist zu Ende, politisch ist er bankrott.
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