Archive for the ‘DIE ZEIT’ Category
Ein Herz, es brennt
Beatrice Egli ist der größte Schweizer Schlagerstar. Sie singt über die Sehnsucht und die Liebe. Aber selbst hat sie keine Zeit dafür.
Ein Porträt, erschienen am 25. Oktober 2018 in der Schweizer Ausgabe der Wochenzeitung DIE ZEIT.
«Die Hände in die Höh’ – eins, zwei, Egliiii», ruft der Fotograf, dann drückt er den Auslöser. Drei Dutzend VIP-Gäste drängen sich für das Gruppenbild um Beatrice Egli, den 1,63 Meter kleinen großen Star des Schlager-Open-Airs im sanktgallischen Wildhaus. Man versteht das eigene Wort kaum im Zelt hinter der Bühne, die österreichische Partyband Meilenstein wärmt gerade das Publikum für ihre Headlinerin Egli auf. Aber das tut der lockeren Stimmung beim meet & greet keinen Abbruch.
«Wo kommst du her?», fragt Egli jeden einzelnen Fan, während sie für Fotos posiert und persönliche Widmungen auf Autogrammkarten schreibt. Wann immer das Dorf oder die Ortschaft weiter weg ist als 30 Kilometer, sagt sie: «Danke vielmals, dass du den weiten Weg auf dich genommen hast!» Ein Mädchen ist aus dem Nachbardorf Nesslau angereist. 16 Kilometer sind das. «Dort bin ich jeweils umgestiegen, wenn ich mein Gotti besucht habe», sagt Egli. «Eure Postauto-Haltestelle kenne ich darum bestens.»
Es ist ein verregneter Freitagabend im Sommer, und Beatrice Egli, Metzgerstochter aus Pfäffikon im Kanton Schwyz, hat ein Heimspiel. «S’Schönschte für mich isch, dihei zsii, da i de Schwiiz, bi minere Familie und mine Fründe», sagt sie. Doch nicht nur zu Hause, sondern im gesamten deutschsprachigen Raum wird Egli gefeiert: Seit sie vor über fünf Jahren, im Mai 2013, das Finale der zehnten Staffel von Deutschland sucht den Superstar (DSDS) gewann. Keine andere Schweizer Musikerin ist zurzeit erfolgreicher als Egli.
Egal ob an einem Open Air wie in Wildhaus im Toggenburg oder an Solokonzerten in großen Städten: Der Schlagersängerin liegen die Fans zu Füßen. Am kommenden Sonntag startet ihre vierte Tournee. Sie wird eineinhalb Monate dauern und Egli wird große Konzerthallen in Basel und Zürich, Berlin und Wien füllen. Was ist das Geheimnis ihres Erfolgs?
Der grosse Murks
Gespannt wartete die Branche auf das neue Mediengesetz von Bundesrätin Doris Leuthard. Nun ist es da – und niemand ist zufrieden. Warum?
Ein Hintergrundartikel, erschienen am 28. Juni 2018 in der Schweizer Ausgabe der deutschen Wochenzeitung DIE ZEIT.
Als Doris Leuthard vergangene Woche in Bern vor die Medien tritt, um den bundesrätlichen Entwurf für ein Bundesgesetz über elektronische Medien vorzustellen, lehnt sich Andreas Häuptli in Zürich auf seinem Bürostuhl zurück und drückt den Sendebutton. «Transformationsbeitrag soll digitale Zukunft der Presse sichern», ist die Medienmitteilung überschrieben, die der Geschäftsführer des Verlegerverbandes tags zuvor vorbereitet hat. Das Communiqué ist beachtlich: Es markiert einen radikalen Positionswechsel.
Die Schweizer Verleger, die so stolz waren auf ihre Unabhängigkeit vom Staat, die sich, zumindest was ihre Zeitungen und Magazine angeht, seit Jahrzehnten gegen einen Ausbau staatlicher Subventionen wehrten, sie fordern nun das exakte Gegenteil: eine Ausweitung der Presseförderung.
Wegbrechende Werbeerträge, rückläufige Abonnementszahlen und fehlende Perspektiven haben ihre ordnungspolitischen Überzeugungen in den Hintergrund treten lassen. Wie so oft, wenn eine Branche vom Strukturwandel getroffen wird, schaut sie, was es beim Staat zu holen gibt.
Wie sich dieser Staat die medienpolitische Zukunft vorstellt, ist seit einigen Tagen bekannt. Künftig sollen nicht nur Radio- und Fernsehstationen subventioniert werden, die demokratie- und gesellschaftspolitisch relevante Inhalte ausstrahlen, sondern auch Online-Medien. Finanziert wird diese Förderung aus der Haushaltsabgabe, die die geräteabhängige Billag-Gebühr ablöst und 365 Franken pro Jahr betragen wird. Eine neue Kommission für elektronische Medien (Komem) soll entscheiden, wer auf direktem oder indirektem Wege in den Genuss staatlicher Förderung kommt.Die möglichen Empfänger dieser Fördergelder sind allerdings stark eingegrenzt. Wegen der Bundesverfassung, die keine Förderung von Printmedien vorsieht, und aus Rücksichtnahme auf die Verleger, die keine zusätzliche, staatlich geförderte Konkurrenz wollen.
Aus dem geplanten großen Wurf ist ein medienpolitischer Murks geworden. So sollen nicht, wie ursprünglich geplant, sämtliche journalistischen Online-Projekte gefördert werden, sondern nur solche, die «im Wesentlichen mit Audio- und audiovisuellen Medienbeiträgen erbracht werden». Von Großverlagen unabhängige journalistische Projekte wie Zentral plus, Republik oder Bon pour la tête gehen leer aus.
Der Verlegerverband ist trotzdem nicht ganz zufrieden. Die Verleger wollen nicht nur Rücksichtnahme auf ihre Geschäfte, sie wollen auch mehr Unterstützung durch den Staat. Wie viel und in welcher Form, darauf haben sie sich noch nicht geeinigt, obwohl die Vernehmlassung von Leuthards Gesetz nun begonnen hat. Man rechne noch, sagt Häuptli, im Juli wolle man ein Ergebnis präsentieren.
Auch wenn inzwischen mehr als 90 Prozent der Schweizer Erwachsenen täglich online gehen, ist das Internet für viele Verlage noch immer Neuland. Mit der Frage, wie Online-Journalismus funktioniert und wie damit Geld zu verdienen wäre, haben sich vor allem die kleinen und mittelgroßen Unternehmen noch zu wenig ernsthaft auseinandergesetzt.
Fernand, ça va?
Er gehört zu den wichtigsten Regisseuren der Schweiz. Nun kämpft Fernand Melgar gegen die Drogendealer in seinem Quartier in Lausanne – und findet sich in einem Shitstorm wieder.
Ein Porträt, erschienen am 21. Juni 2018 in der Schweizer Ausgabe der deutschen Wochenzeitung DIE ZEIT.
Lässig stehen die Polizisten vor dem Eingang der Primarschule Saint-Roch in der Sonne. Die Pistole im Halfter, ein Lächeln im Gesicht. Die Typen, wegen derer die flics an diesem Freitag im Lausanner Viertel Maupas patrouillieren, sie sind nirgends zu sehen. Die Drogendealer, die hier herumlungern und auf Kundschaft warten, Dutzende waren es noch zwei Wochen zuvor, sind an diesem Tag gar nicht erst aufgetaucht. Auch sie haben mitbekommen: Nun weht ein anderer Wind.
Der Mann, der dafür verantwortlich ist, baut sich vor den Polizisten auf, um ihnen für ihre Präsenz zu danken: Es ist Fernand Melgar, 56. Seit vierzig Jahren wohnt er im Quartier. Vor ein paar Wochen hat ihn die Wut gepackt. Was dann geschah, das hat das Leben in diesen Straßen verändert – und sein eigenes erschüttert.
Ende Mai veröffentlichte Melgar, der mehrfach preisgekrönte Dokumentarfilmer, einen Gastbeitrag in der Zeitung 24 heures. «Es ist nicht hinnehmbar, dass die organisierte Kriminalität auf meiner Straße ein florierendes Geschäft aufrechterhält.» Und er stellt die Frage: «Müsste man nicht die Stadt Lausanne für jeden Jugendlichen, der an einer Überdosis stirbt, wegen fahrlässiger Tötung strafrechtlich verfolgen?» Ein paar Tage später legt der Empörte nach. Auf Facebook postet er Bilder von jungen, dunkelhäutigen Männern, die an den Außenmauern von Saint-Roch lehnen. «Das sind sechs der 22 Dealer, die am Montag um 15.30 Uhr vor der Schule darauf warten, dass die zehn- bis sechzehnjährigen Schüler herauskommen», schreibt er dazu. Politik und Polizei würden seit Jahren untätig zusehen.
Der Beitrag wird mehr als 8.000-mal geteilt, lokale Zeitungen und das welsche Radio und Fernsehen berichten darüber. Melgar wird in Diskussionssendungen eingeladen. 400 Menschen demonstrieren auf der Place Chauderon, einem der größten Drogenumschlagsplätze der Stadt, gegen das Nichtstun der Behörden. Und auf Facebook eskaliert, wie so oft, die Diskussion: Die Dealer gehören unter die Guillotine, heißt es. Einige rufen dazu auf, Bürgermilizen zu bilden, um die Händler zu verprügeln.
Melgar betritt er das Café Coquelicar mitten in Maupas. Seit Jahren verkehrt er hier, doch seit seinem Facebook-Post wird er als eine Art Winkelried verehrt und gefeiert. An den Nebentischen wird getuschelt, eine Rentnerin kommt auf Melgar zu, um ihm für seinen Mut zu danken: «Endlich sagt es einer. Du hast unsere volle Unterstützung, Fernand!»
Der Zauberer braucht einen Smoking
Ein Oscar für „Professor Hexenmeister“: Markus Gross lässt es in Filmen realistisch dampfen, rauchen und spritzen.
Ein Porträt eines Wissenschaftlers, erschienen am 7. Februar 2013 im Ressort Wissen der ZEIT.
Von Schweizer Zeitungen wird der Saarländer mit dem Schweizer Pass als »Professor Hexenmeister«, als »Merlin« oder als »Mann mit dem Zauberkasten« beschrieben. Was er tut, sieht tatsächlich ein bisschen nach Magie aus – er lässt es dampfen und qualmen. Allerdings nicht in der Wirklichkeit, sondern in der Simulation. Markus Gross ist ein Magier im virtuellen Raum. Zusammen mit drei ehemaligen Kollegen hat der Professor für Computergrafik an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich eine Software entwickelt, mit der Rauch, Nebel und Explosionen in Animationsfilmen realistisch simuliert werden können.