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Ein langsamer, schmerzlicher Tod wartet
Die BDP hat mit dem Rücktritt von Eveline Widmer-Schlumpf die Existenzgrundlage verloren. Ihre Zukunft ist fast aussichtslos – die Versäumnisse sind hausgemacht.Eine Chance also soll ihr Rücktritt für die BDP darstellen, wenn man der abtretenden Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf glaubt. Als sie am Mittwochabend vor den Medien die Beweggründe ihres Abschieds erklärte, betonte sie dies gleich mehrfach. Ihre Partei sei seit ihrer Gründung vor sieben Jahren von den Medien stets auf einen reinen Widmer-Schlumpf-Wahlverein reduziert worden, kritisierte sie. Die zahlreichen guten Projekte, welche die BDP initiiert habe, seien geflissentlich ignoriert worden. Nur: Sind wirklich die Medien schuld, wenn die BDP es nie geschafft hat, sich ein klares Profil zuzulegen? Wenn es ihr nie gelungen ist, sich und ihre (spärlich) vorhandenen Erfolge professionell zu vermarkten? So einfach, wie es Widmer-Schlumpf darstellt, ist es nicht. Die Fehler sollte sie vielmehr bei der eigenen Parteispitze suchen – und bei sich selbst.
Der BDP-Wahlkampf war flau: Die Bienen, mit denen die Partei für sich warb, mögen sympathisch gewirkt haben, doch mobilisiert haben sie nicht. Und vor allem haben sie nicht geholfen, das Profil der Partei zu schärfen. Seit acht Jahren sucht die BDP ihr Alleinstellungsmerkmal, gefunden hat sie es nie. Für die Energiewende? Ist auch die GLP. Für eine starke Wirtschaft? Ist auch die FDP. Für die Personenfreizügigkeit? Sind sie alle, abgesehen von der SVP.
Der einzige neu gewählte Nationalrat in den Reihen der BDP, der Bündner Skilehrer Duri Campell, hat recht, wenn er feststellt: «Wir müssen von der SVP lernen, wie man sich als Partei positioniert. Gelingt dies nicht, werden wir die BDP zu Grabe tragen.»
Medien als Schulfach – jetzt!
Zwar ist die «Generation Touchscreen» in der Schweiz noch mehr Mythos als Realität: Kinder spielen lieber draussen, als auf dem Smartphone zu tippen. Dennoch soll sich die Schule mehr anstrengen, Medienkompetenz zu vermitteln.
Eine Analyse, erschienen am 29. September 2015 in der Südostschweiz sowie der Nordwestschweiz / Aargauer Zeitung.
Während das Internet für alte, mächtige Menschen wie Angela Merkel noch immer «Neuland» ist, sind sie mit ihm aufgewachsen: Kinder, die zwischen sechs und 13 Jahre alt sind und in die Primarschule gehen. Wie selbstverständlich tippen sie auf dem Smartphone rum, das zu Hause rumliegt, ohne Probleme scrollen sie im Internet und zoomen auf dem iPad. Kein Wunder: Während das Internet zum Ende des letzten Jahrtausends – als Merkel noch nicht deutsche Bundeskanzlerin, aber schon nicht mehr jung war – noch kaum eine Rolle spielte, ist es heute allgegenwärtig. Gaben 1997 in einer Umfrage des Schweizer Bundesamts für Statistik noch bloss sieben Prozent der Bevölkerung an, mehrmals pro Woche zu surfen, sind es heute 87.
Mehr als ein Drittel der Sechs- bis Siebenjährigen besitzt ein Handy, bei den 12- bis 13-Jährigen sind es bereits drei Viertel. «Das Handy ist das mit Abstand beliebteste Medium – selbst bei Kindern, die noch gar kein eigenes Gerät besitzen», sagt ZHAW-Forscher Daniel Süss. Auf die Frage, welches Medium sie behalten würden, wenn sie alle ausser einem abgeben müssten, antworteten denn auch mit Abstand am meisten der mehr als 1000 befragten Kinder im Primarschulalter mit «Handy». Welche Schlüsse sollten nun aus dieser ZHAW-Studie gezogen werden? In erster Linie der folgende: Die digitale Transformation der Welt muss endlich Auswirkungen auf die Lehrpläne haben, und zwar nicht nur an Gymnasien, sondern bereits in der Primarschule. Was im Leben der Kinder und Jugendlichen einen so hohen Stellenwert hat wie digitale Medien, gehört in den Unterricht – und zwar besser heute als morgen. Den Umgang mit digitalen Medien nicht zu lehren, ist geradezu fahrlässig.
Das Märchen des «Asylchaos»
Die SVP wollte sich gestern nicht auf die Beratung des Asylgesetzes einlassen, obwohl mit ihm die Asylverfahren beschleunigt werden. Lieber nutzt sie im Wahlkampf von ihr kolportierte Unwahrheiten.Ein Kommentar, erschienen am 10. September 2015 in der Südostschweiz.
Seit Wochen versucht die SVP, ein «Asylchaos» herbeizureden. Und schaltet grosse Zeitungsinserate, in denen sie behauptet, als einzige Partei zu garantieren, dass Zuwanderung begrenzt wird und Missbräuche im Asylwesen beseitigt werden. Tatsache ist: Gleich in zweierlei Hinsicht entspricht dies nicht der Wahrheit.
Erstens ist der Problembefund falsch. Von einem «Asylchaos» ist die Schweiz meilenweit entfernt. Hier herrscht kein Notstand. Er herrscht anderswo: in Syrien vor allem, aber auch in anderen Kriegsherden. Und in den umliegenden Ländern, die selbst wenig haben und jetzt noch für ihre geflüchteten Brüder sorgen müssen. Es stimmt: Die Welt ist gefordert wie selten, weil sich 60 Millionen Menschen auf der Flucht befinden, so viele wie nie mehr seit dem Zweiten Weltkrieg. Und ja: Auch die Schweiz ist gefordert. Gefordert, endlich den ihr möglichen Beitrag zu leisten, um das Leiden der Flüchtlinge zu mindern. Bisher kaum gefordert aber sind wir mit der Unterbringung und Betreuung der Flüchtlinge. Denn wer behauptet, die Schweiz sei gegenwärtig mit der «Flut» der Flüchtlinge am Anschlag, verkennt: Im Kosovokrieg hatte sich unser Land um doppelt so viele Flüchtlinge zu kümmern. Gerade einmal 30 000 der erwähnten 60 Millionen Menschen haben bisher in der Schweiz Zuflucht gesucht – jeder Zweitausendste.
Im Prinzip ist nur schon dies beschämend: Die Schweiz, einst nicht nur wegen ihres Wohlstands ein Ziel, sondern auch als Wiege der Menschlichkeit und dank ihrer humanitären Tradition, ist für Flüchtlinge nicht mehr attraktiv. Das von der SVP geschürte und von der Stimmbevölkerung wiederholt bestätigte Klima der Kälte wirkt, in Kombination mit einem rigiden Asylsystem, abstossend. Menschen in Not versuchen heute lieber, nach Deutschland, Grossbritannien oder Schweden zu gelangen.
Zweitens flunkert die SVP, wenn sie behauptet, als einzige Partei Lösungen bereitzuhalten. Vielmehr wollte sie sich gestern nicht einmal auf die Debatte der Asylreform einlassen. Obwohl die Reform die Verfahren verkürzt und so eine ihrer Kernforderungen erfüllt.
Geradezu tragisch ist es, dass die Wähler dieses Trauerspiel zu belohnen scheinen. Wäre am 21. August gewählt worden, hätte die SVP laut dem neuesten SRG-Wahlbarometer um 1,4 Prozentpunkte zugelegt.
Das Muskelspiel der Schaumschläger
Erst jahrelange Beschimpfungen, dann ein Schulterschluss, nun wieder diffamierende Wutreden – die Präsidenten von CVP, FDP und SVP führen einen lauten, doch inhaltslosen Wahlkampf. Und SP-Präsident Levrat steht ihnen in nichts nach. Populismus links, rechts und in der Mitte.
Ein Kommentar, erschienen am 15. Juli 2015 in der Südostschweiz und der Nordwestschweiz / Aargauer Zeitung.
Mit keinem der anderen Parteipräsidenten würde er seine Freizeit verbringen wollen, sagte SVP-Chef Toni Brunner kürzlich in einem Interview. «Keiner ist ein dicker Freund. Aber wir sind im Umgang professionell.» Was Brunner, aber auch Christophe Darbellay (CVP), Philipp Müller (FDP) und Christian Levrat (SP) – die anderen drei Anführer der grossen Parteien – unter Professionalität verstehen, zeigte sich in den letzten Wochen einmal mehr auf frappierende Art und Weise: Hauptsache laut. Hauptsache empört. Hauptsache wütend.
Die vier Herren schiessen verbal aufeinander, wenn immer ihnen Medien die Gelegenheit geben. Und sie schiessen scharf. Dann fallen Sätze wie die folgenden: «Wenn Toni Brunner spricht, setze ich den Ohrschutz auf» (Darbellay); «Toni Brunner spielt den kleinen Orban. Das brauchen wir in der Schweiz nicht» (Levrat); «Christophe Darbellay bewegt sich inhaltlich so weit weg von den klassischen CVP-Positionen, dass man ihn nicht ernst nehmen kann» (Levrat); «Brunner ist an seriöser Arbeit gar nicht interessiert. Er will sich als bester Bodybuilder des bürgerlichen Lagers profilieren – nur: Muskeln sind nicht gleich Hirn» (Darbellay); «Die sozialistischen Rezepte von Levrat führen ins Fiasko» (Müller); «Eveline Widmer-Schlumpf ist zurzeit das grösste Problem für die Eidgenossenschaft. Sie ermöglicht der sozialistischen Umverteilungspolitik Mehrheiten» (Brunner).
Einen Anlass für die ständigen Angriffe benötigen die Parteipräsidenten nicht. Die Tatsache, dass in drei Monaten National- und Ständerat neu gewählt werden, genügt ihnen. Um aufzufallen und ihre Partei zu profilieren, nehmen sie in Kauf, dass der Wahlkampf bereits während der Sommerferien und im Einklang mit dem Wetter hoffnungslos überhitzt. Ob die Wählerschaft diese ewig gleichen Wutausbrüche goutiert, die überdies in aller Regel mehr gespielt als ernst gemeint sind, darf bezweifelt werden. Menschen mit einem Flair für Dramen oder fürs Theater mögen die Kleinkriege vielleicht noch amüsant finden. Ernst nehmen aber kann man sie längst nicht mehr. Man möchte den Herren raten, mal ein kühles Bad zu nehmen. Oder gemeinsam ein kühles Bier zu trinken.
Eine Chance wurde vergeigt
Der Ständerat will private Bestechung nicht zum Offizialdelikt erklären. Das ist nicht nur wegen des Fifa-Skandals falsch. Doch immerhin: Bestechen Fussball-Funktionäre im Ausland, soll die Fifa in der Schweiz belangt werden können.
Eine Kommentar (plus die dazugehörige Berichterstattung aus dem Parlament), erschienen am 4. Juni 2015 in der Südostschweiz und der Nordwestschweiz / Aargauer Zeitung.
Sepp Blatter sei Dank: So wichtig wie gestern durften sich Ständeräte schon lange nicht mehr fühlen. Auch ausländische Medien und Politiker verfolgten aufmerksam, ob sich die Schweizer Politik endlich willens zeigen würde, gegen Korruption vorzugehen. Doch die kleine Kammer vergeigte die fast schon einmalige Chance, das Image des Landes aufzupolieren. Anstatt jegliche private Bestechung wie vom Bundesrat vorgeschlagen in Zukunft von Amtes wegen zu verfolgen, entschied sie sich für einen unausgegorenen Ausnahmeartikel: Nur wenn öffentliches Interesse gegeben sei, soll Korruption auf jeden Fall geahndet werden.
Die Abwägung, ob es sich um einen bedeutsamen Fall oder ein Bagatelldelikt handelt, hat die Strafverfolgungsbehörde im Einzelfall zu leisten. Wie sie dies tun soll, bevor sie überhaupt zu ermitteln beginnt, wissen wohl nicht einmal die Ständeräte selbst. Ihr gestriger Entscheid zeugt von der Angst, der so gutschweizerischen wie weit verbreiteten Vetterliwirtschaft ein Ende zu bereiten. Die Argumentation, in vielen Fällen privater Bestechung fehle ein Geschädigter, ist hanebüchen. Geschädigt nämlich werden die Allgemeinheit und das Prinzip von Treu und Glauben.
Angesichts dieses Debattenverlaufs erfreulich ist, dass die Fifa in Zukunft trotzdem belangt werden könnte, wenn ihre Funktionäre bestechen. Zu befürchten ist allerdings, dass sich die Ständeräte der Tragweite dieses Details gestern gar nicht bewusst gewesen sind – und die Nationalräte den Entscheid noch kippen könnten. Hoffentlich werden die Augen der Weltöffentlichkeit dann nicht mehr auf die Schweizer Politik gerichtet sein.
König Sepps grösster Fan
Der Aargauer SVP-Nationalrat Maximilian Reimann bekennt sich zu Fifa- Präsident Blatter. Eine kommentierende Glosse, erschienen am 6. Mai 2015 in der Südostschweiz.
Die Stimme kommt aus dem Off. «Paradiesische Zustände für dubiose Machenschaften: Die Anti-Korruptions-Gesetze in der Schweiz sind lasch, die Fifa und andere Sportverbände von Steuern befreit», sagt der Sprecher des ARD-Dokumentarfilms über den Weltfussballverband und dessen Präsidenten Sepp Blatter. «Der rechtskonservative Parlamentarier Maximilian Reimann hält seit Jahrzehnten schützend die Hand über die Fifa, der er sich eng verbunden fühlt. Sie gehöre zur Schweiz wie die Alpen, sagt er, mit Sepp Blatter verbinde ihn so etwas wie eine Freundschaft.» Kurzum: «Man mag sich.»
Dann erscheint Reimann im Bild, sitzend in der Wandelhalle des Bundeshauses. Was folgt, ist ein Bekenntnis voller Verständnis und Zuneigung. «Wenn sich einer mit 79 Jahren noch einmal getraut, für vier weitere Jahre Fifa-Präsident zu sein, dann Hut ab vor diesem Mann. Dann ist er geistig wie physisch absolut top. Hut ab vor einem Typen wie Sepp Blatter, der in diesem Alter wie Adenauer oder Roland Reagan oder Napolitano aus Italien noch an der Spitze einer so wichtigen Institution steht.»
Reimann ist nicht der einzige Blatter-Bewunderer, der im am Montagabend ausgestrahlten, auf Youtube verfügbaren ARD-Film «Der verkaufte Fussball» auftritt. So bezeichnet ihn etwa Osiris Guzman – von der Fifa einst wegen Korruption suspendierter Präsident des dominikanischen Fussballverbandes – als Visionär und stellt ihn in eine Reihe mit Winston Churchill, Nelson Mandela, Abraham Lincoln, dem Papst und Mutter Theresa.
