Posts Tagged ‘Politik’
Methode Martullo
Sie gehört zum innersten Zirkel der SVP, ist eine mächtige Unternehmerin, reicher als alle anderen Parlamentarier zusammen. Ihr Wahlkampf? Ein Lehrstück in Menschenfängerei. Wer ist Magdalena Martullo?
Eine Annäherung an die Blocher-Tochter, erschienen am 21. September 2019 im Onlinemagazin Republik und geschrieben gemeinsam mit Anja Conzett und Elia Blülle.
Fester Händedruck, heiterlaute Stimme, die blauen Augen halten Blickkontakt – und schon hat sie dich in ihrem Bann.
Sie stellt sich nur knapp vor. Denn sie kann sich darauf verlassen, dass du sie kennst. Und darum geht es erst mal nur um dich: Wer du bist, woher du kommst, wohin du gerade gehst. Was dich beschäftigt und besorgt. Und weil sie so direkt, so unverblümt fragt, so als ginge es sie tatsächlich etwas an, antwortest du ihr – ehrlich, unverstellt. Und was immer du ihr erzählst – sie findet eine Gemeinsamkeit.
Eine Sorge in ihrem Leben, eine Anekdote, etwas Persönliches oder einfach einen Spruch, den du verstehen wirst. Sie wird dir auch nichts über Politik erzählen, wenn du das nicht willst. Ein Gespräch von Mensch zu Mensch. Zwischen dir und ihr, der Milliardärin, der Nationalrätin, der grössten Unternehmerin im Kanton.
Sie nimmt sich fünf bis zehn Minuten Zeit für dich. Und erst ganz am Schluss stellt sie dir die Frage, ob du in Graubünden wahlberechtigt bist.
Wirst du sie wählen? Sie hört dir zu und nimmt deine Sorgen ernst. Oder?
Aus dem Körbli, das sie locker an den Arm gehängt trägt, drückt sie dir ein Schöggeli in die Hand. Keinen Flyer, den du danach entsorgen müsstest. Sie klopft dir zum Abschied auf den Oberarm oder drückt dir noch einmal fest die Hand.
Es hat sie gefreut. Und dich irgendwie auch. Selbst wenn du noch nie SVP gewählt hast.
Wer wissen will, wie Wahlkampf geht, sollte bei Magdalena Martullo in die Lehre gehen. Sie ist eine elektorale Naturgewalt, der man sich kaum entziehen kann. Gut möglich, dass sie die Schweizer Politik die nächsten Jahrzehnte prägen und verändern wird. Die Bündner Nationalrätin ist eine der reichsten Frauen der Schweiz, führt mit der Ems-Chemie eine milliardenschwere Traditionsfirma. Manche sehen sie als Nachfolgerin von SVP-Bundesrat Ueli Maurer.
Martullo ist sich für keine Hundsverlochete zu schade. Kein Anlass ist ihr zu gering, die Medien einzuladen. Auch mit Nachdruck, wenn es sein muss. Die Republik aber ist nicht willkommen. Wiederholt haben wir die Politikerin um ein Interview gebeten. Jedes Mal kam eine Absage. Die offizielle Begründung: keine Zeit.
Wir haben uns trotzdem an ihre Fersen geheftet: in Chur, Bern, Grüsch und Domat/Ems.
«Auf einmal krochen parteiinterne Heckenschützen hervor»
Die 85-jährige Judith Stamm ist eine Ikone der Schweizer Frauenrechtsbewegung. Die langjährige CVP-Nationalrätin über ihre Anfänge als Polizeiassistentin, ihren Kampf für die Fristenregelung, ihre gescheiterte Bundesratskandidatur – und die Gründe, warum sie sich nicht am Frauenstreik beteiligt.
Ein Interview, erschienen am 10. Juni 2019 im Onlinemagazin Republik und geführt gemeinsam mit Andrea Arezina.
Frau Stamm, Sie waren 25 Jahre alt, als die stimmberechtigten Schweizer Männer die Einführung des Frauenstimmrechts ablehnten. Was ging Ihnen damals durch den Kopf?
Das war für mich gar kein Thema. Ich kam ja nicht als Feministin zur Welt. 1959 war ich Studentin der Rechtswissenschaften an der Universität Zürich, ziemlich naiv und politisch nicht engagiert. Ich hatte nicht das Gefühl, dass Politik mich etwas angehe. Die Männer kümmerten sich darum.
Die Männer liessen Sie auf eidgenössischer Ebene erst zwölf Jahre später mitwählen und -abstimmen. Verspürten Sie keine Wut, bis 1971 in einer Welt zu leben, in der Sie als Frau kein Mitspracherecht hatten?
Ach, woher.
Wirklich nicht?
Schauen Sie: Es war einfach so. Ich stellte das lange Zeit gar nicht infrage.
Wie wurden Sie zur Feministin, als die Sie seit Jahrzehnten bekannt sind?
Das war ein schleichender Prozess, ohne eigentliches Erweckungserlebnis. Dass etwas nicht stimmt, bemerkte ich erstmals, als ich nach Abschluss meines Studiums ein Praktikum am Bezirksgericht im zürcherischen Uster absolvierte. Als ich mich dann dort als Gerichtsschreiberin bewerben wollte, beschied man mir: «Verzeihen Sie, Fräulein, aber wir können Sie nicht nehmen. Nach kantonalem Gesetz dürfen Sie diese Stelle ohne politische Rechte nicht antreten.»
Ueli, der Staatsmann
SVP-Bundesrat Ueli Maurer wurde während seiner gesamten Laufbahn belächelt. Nun, da sie sich dem Ende zuneigt, wird er gefeiert. Was ist passiert?
Ein Porträt, erschienen am 20. Dezember 2018 im Onlinemagazin Republik.
Die Sorgenmiene und der stets leicht beleidigte Tonfall gehören zu ihm, seit er vor 22 Jahren Präsident der SVP wurde. Und jetzt das.
«Politik muss Spass machen», ruft Ueli Maurer an diesem 5. Dezember in den Nationalratssaal. «Und ich glaube, das soll die Bevölkerung auch spüren: dass hier Leute am Werk sind, die mit Freude versuchen, das Beste für unser Land herauszuholen.» Der 68-Jährige erntet tosenden Applaus.
Toni Brunner, der rechteste SVP-Politiker, springt genauso begeistert auf wie Silvia Schenker, die linkste Sozialdemokratin. Regula Rytz, die Präsidentin der Grünen, wird später twittern: «Eine mitreissende Antrittsrede des neuen Bundespräsidenten Ueli Maurer. Trotz aller inhaltlicher Differenz: Chapeau!»
201 von 209 im Saal anwesenden Parlamentariern haben Maurer soeben zum Bundespräsidenten des Jahres 2019 gekürt – nie seit Jean-Pascal Delamuraz (FDP) vor drei Jahrzehnten hat ein Kandidat ein besseres Resultat erreicht. Plötzlich wird Maurer über sämtliche Parteigrenzen hinweg bewundert. Ausgerechnet er, die einst so bissige SVP-Bulldogge. Was ist da passiert? Und wie verändert es Maurers Beziehung zur eigenen Partei, wenn er auf einmal als konzilianter Brückenbauer auftritt?