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Lieber Staat, wir wären jetzt so weit
Zuerst aushungern, dann sich dem Bund an die Brust werfen: Die neue Strategie der Nachrichtenagentur Keystone-SDA zeigt, wohin sich die Schweizer Medienbranche entwickelt. Selbst eine totale Verstaatlichung wird nicht mehr ausgeschlossen.
Eine Recherche, erschienen am 20. Mai 2020 im Onlinemagazin Republik.
(…) Mitte Mai 2020 verkündete der Verwaltungsrat der Nachrichtenagentur Keystone-SDA via Mediencommuniqué: «Keystone-SDA fokussiert verstärkt auf das Kerngeschäft». Unter anderem wolle man die beiden «volatilen Geschäftsfelder» PR und Corporate Production ausgliedern oder verkaufen. Den Grund dafür kommuniziert die Unternehmensspitze offen: «Mit der Strategieanpassung und den eingeleiteten Massnahmen möchte der Verwaltungsrat das Terrain für eine weitergehende Förderung von Keystone-SDA ebnen.»
Heisst konkret: Aus einem profitorientierten soll ein Service-public-Unternehmen werden. Exakt so, wie es die streikenden Mitarbeiterinnen 2018 gefordert hatten.
Die vom Verwaltungsrat getroffenen Massnahmen markieren dabei bloss den Beginn von Umstrukturierungen, die die Ausrichtung der Nachrichtenagentur in den nächsten Jahren diametral verändern werden. Das zeigen Recherchen der Republik.
Mehrere mit den Vorgängen vertraute Personen bestätigen, dass der Verwaltungsrat von Keystone-SDA die Voraussetzungen schaffen wolle, damit die Agentur dereinst vollständig staatlich finanziert werden kann. Das hiesse, dass Keystone-SDA vom Bund nicht wie bisher pro Jahr einen tiefen einstelligen Millionenbetrag erhielte, sondern 18 bis 19 Millionen Franken. Diesen Betrag nimmt die Nachrichtenagentur derzeit schätzungsweise mit ihrem Basisdienst ein, der die Ressorts Inland, Ausland, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft und Vermischtes abdeckt.
Das Problem: Nur schon die vom Bundesrat beschlossene Verdoppelung der maximalen jährlichen Förderung von 2 auf 4 Millionen Franken war nicht unumstritten.
«Ein solidarischer Dividendenverzicht der gesamten Branche hätte geholfen»
Verleger Peter Wanner rechnet bei seiner CH Media mit einem Corona-bedingten Verlust von mindestens 50 Millionen Franken. Er hofft auf staatliche Hilfe und kritisiert die Konkurrenz für das Beharren auf Gewinnausschüttungen.
Ein Interview, erschienen am 29. April 2020 im Onlinemagazin Republik.
Er gehört zu den wirtschaftlichen Verlierern der Corona-Krise: Obwohl seine Fernsehsender mehr geschaut und seine Onlineportale mehr geklickt werden denn je, machen Peter Wanner die in kürzester Zeit erodierten Werbeerlöse zu schaffen. Fürchtet er gar um sein Lebenswerk, das er vor zweieinhalb Jahren mit der Gründung von CH Media gekrönt hat?
Im Gespräch erzählt der Verleger nicht nur von seinen Nöten während der Corona-Krise. Er schimpft auch über die SRG, tadelt Verlegerpräsident Pietro Supino und erklärt, warum er die Leserschaft umerziehen will. Weil Wanner mit seinen 76 Jahren altersbedingt zur Corona-Risikogruppe gehört, haben wir das Interview telefonisch geführt.
Herr Wanner, wie viel Geld hat Sie das Coronavirus bis jetzt gekostet?
Mehr als 10 Millionen Franken. Wie hoch die Summe am Ende sein wird, kann man noch nicht voraussagen.
Ihr Konzern erzielte bis anhin knapp die Hälfte seiner Erlöse im Werbemarkt. Im Krisenfall wird das zum Problem, streichen viele Unternehmen doch als Erstes ihre Werbebudgets zusammen.
Leider trifft das zu. Seit Mitte März sind die Werbeeinnahmen bei unseren Zeitungen, Radio- und Fernsehstationen massiv eingebrochen. Keine signifikanten Verluste hinnehmen mussten einzig unsere Onlineportale. Sie profitieren während der Pandemie von der erhöhten Aufmerksamkeit des Publikums, weshalb sie für Werbetreibende besonders attraktiv sind.
Haben Sie für sich eine Hochrechnung erstellt, wie hoch der Schaden der Pandemie ausfallen könnte?
Ich habe es versucht, aber es gibt zu viele Unbekannte. Alles hängt davon ab, wie lange die Wirtschaft brauchen wird, um nach dem Lockdown wieder auf Touren zu kommen – und ob es gelingen wird, eine zweite Welle an Infektionen zu verhindern. So oder so rechne ich mit einem Corona-bedingten Erlösrückgang von mindestens 50 Millionen Franken.
Wäre CH Media in diesem Fall in der Existenz gefährdet?
Wenn die Situation zwölf Monate so weiterginge – ja, dann ginge es ans «Läbige». Es wäre enorm schwierig und eine Herkulesaufgabe, auch nur die Hälfte der entgangenen Erlöse einzusparen. Um überleben zu können, wäre das aber unabdingbar. Erste Massnahmen sind ergriffen worden. Je nach Verlauf der Pandemie müssen wir aber noch radikaler sparen.
Methode Martullo
Sie gehört zum innersten Zirkel der SVP, ist eine mächtige Unternehmerin, reicher als alle anderen Parlamentarier zusammen. Ihr Wahlkampf? Ein Lehrstück in Menschenfängerei. Wer ist Magdalena Martullo?
Eine Annäherung an die Blocher-Tochter, erschienen am 21. September 2019 im Onlinemagazin Republik und geschrieben gemeinsam mit Anja Conzett und Elia Blülle.
Fester Händedruck, heiterlaute Stimme, die blauen Augen halten Blickkontakt – und schon hat sie dich in ihrem Bann.
Sie stellt sich nur knapp vor. Denn sie kann sich darauf verlassen, dass du sie kennst. Und darum geht es erst mal nur um dich: Wer du bist, woher du kommst, wohin du gerade gehst. Was dich beschäftigt und besorgt. Und weil sie so direkt, so unverblümt fragt, so als ginge es sie tatsächlich etwas an, antwortest du ihr – ehrlich, unverstellt. Und was immer du ihr erzählst – sie findet eine Gemeinsamkeit.
Eine Sorge in ihrem Leben, eine Anekdote, etwas Persönliches oder einfach einen Spruch, den du verstehen wirst. Sie wird dir auch nichts über Politik erzählen, wenn du das nicht willst. Ein Gespräch von Mensch zu Mensch. Zwischen dir und ihr, der Milliardärin, der Nationalrätin, der grössten Unternehmerin im Kanton.
Sie nimmt sich fünf bis zehn Minuten Zeit für dich. Und erst ganz am Schluss stellt sie dir die Frage, ob du in Graubünden wahlberechtigt bist.
Wirst du sie wählen? Sie hört dir zu und nimmt deine Sorgen ernst. Oder?
Aus dem Körbli, das sie locker an den Arm gehängt trägt, drückt sie dir ein Schöggeli in die Hand. Keinen Flyer, den du danach entsorgen müsstest. Sie klopft dir zum Abschied auf den Oberarm oder drückt dir noch einmal fest die Hand.
Es hat sie gefreut. Und dich irgendwie auch. Selbst wenn du noch nie SVP gewählt hast.
Wer wissen will, wie Wahlkampf geht, sollte bei Magdalena Martullo in die Lehre gehen. Sie ist eine elektorale Naturgewalt, der man sich kaum entziehen kann. Gut möglich, dass sie die Schweizer Politik die nächsten Jahrzehnte prägen und verändern wird. Die Bündner Nationalrätin ist eine der reichsten Frauen der Schweiz, führt mit der Ems-Chemie eine milliardenschwere Traditionsfirma. Manche sehen sie als Nachfolgerin von SVP-Bundesrat Ueli Maurer.
Martullo ist sich für keine Hundsverlochete zu schade. Kein Anlass ist ihr zu gering, die Medien einzuladen. Auch mit Nachdruck, wenn es sein muss. Die Republik aber ist nicht willkommen. Wiederholt haben wir die Politikerin um ein Interview gebeten. Jedes Mal kam eine Absage. Die offizielle Begründung: keine Zeit.
Wir haben uns trotzdem an ihre Fersen geheftet: in Chur, Bern, Grüsch und Domat/Ems.
Das Versagen
An der ETH soll eine Astronomie-Professorin ihre Doktoranden über Jahre gemobbt haben. Jetzt wird sie entlassen, obwohl die Schuldfrage nie geklärt wurde. Wie eine Institution von Weltruf alles verrät: die Professorin, die Unschuldsvermutung, sich selbst. Der Fall ETH, Teil 1.
Eine Langzeitrecherche, erschienen ab dem 19. März 2019 als mehrteilige Serie im Onlinemagazin Republik und geschrieben gemeinsam mit Silvan Aeschlimann und Dominik Osswald.
Sonntagmorgen, 22. Oktober 2017, der milde Spätsommer hat über Nacht ein abruptes Ende gefunden. Marcella Carollo greift noch im Bett nach ihrem Tablet. Sie ruft ein Newsportal auf – und erstarrt.
«Mein erster Gedanke?» Etwas mehr als ein Jahr später, im Dezember 2018: Carollo sitzt in ihrem Wohnzimmer, die Atmosphäre ist düster. Draussen hat der Nebel die Landschaft fest im Griff, man sieht kaum bis zum Nachbarn. Die Läden ihres Hauses im Zürcher Unterland sind ohnehin meistens unten. Überall schwere Teppiche, antike Möbel, schwarzweisse Bilder.
«Zuerst war da nur Leere», erinnert sie. «Dann ein stechender Schmerz. Das Atmen fiel mir schwer, es war, als würde ich in Sekundenschnelle in ein tiefes Loch gesogen. Mein Mann hielt mich in seinen Armen, wie lang, weiss ich nicht. Irgendwann formten sich erste Gedanken: Wie kann es weitergehen? Kann es überhaupt weitergehen?»
Was Marcella Carollo an jenem Sonntagmorgen liest, verändert ihr Leben: «Eklat an der ETH: Professorin mobbt Studenten», prangt in dicken schwarzen Lettern auf der Titelseite der «NZZ am Sonntag». Zwar gibt die Zeitung der Professorin einen falschen Namen, um sie zu anonymisieren. Doch wer wissen will, wer «Gabriela M.» wirklich ist, findet mit zwei Klicks im Internet ihre wahre Identität heraus: Marcella Carollo, damals 54-jährig, seit 2002 am Institut für Astrophysik der ETH Zürich tätig – eine Mobberin.
(…)
Die Republik hat den Fall über ein halbes Jahr recherchiert, sprach mit den involvierten Personen, las Befragungsprotokolle, E-Mails, Briefe – rund 3000 Seiten Dokumente. Darunter zehn der zwölf geheimen Testimonials, die nur dem innersten ETH-Zirkel zugänglich sind. Carollo gehört nicht dazu: Ihr werden die Vorwürfe im ursprünglichen Wortlaut bis heute vorenthalten.
Ist die Professorin schuldig?
Oder ist sie das Opfer einer «rachsüchtigen Doktorandin», wie sie selbst behauptet?
Liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen?
Weiterlesen (Teil 2 und 3 der Serie sowie einige weitere Nachzüge)…