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Löscht Hans Borner bald für immer das Licht?
Drei Fabriken haben das europaweite Verkaufsverbot für Glühbirnen überlebt, davon eine in der Schweiz: Patron Hans Borner aber überlegt nun, seine 110-jährige Righi Licht zu schliessen.
Eine Reportage, erschienen am 13. September in der Südostschweiz und am 16. September 2016 in der Aargauer Zeitung / Nordwestschweiz.
Konzentriert und sorgfältig, aber doch flink fädelt seine Angestellte den Wolframfaden, der kaum dicker ist als ein menschliches Haar, durch drei Dutzend kleinste Schlaufen, knickt ihn dann mit einer Schere ab und greift zum nächsten Draht. «Ein Vierteljahr muss man üben, bis man dieses Handwerk beherrscht», sagt Hans Borner, der ihr mit glänzenden Augen über die Schultern lugt und strahlt, als sehe er das alles zum ersten Mal. «Diesen Draht spiralförmig aufzuwickeln und so Licht zu erzeugen, ist hohe Kunst.»
Ein Besuch in Borners Glühbirnenfabrik Righi Licht AG in Immensee am Zugersee ist wie eine Zeitreise: Vieles hier ist Handarbeit, und wenn doch einmal auf eine Maschine zurückgegriffen wird, ist sie Jahrzehnte alt, aufgekauft aus irgendeiner maroden Firma in Osteuropa.
«Als die Glühbirnen die Kerzen ablösten, kam niemand auf die Idee, Kerzen zu verbieten», sagt Borner, der in ein paar Tagen 75-jährig wird. «Glühbirnen aber wurden aus den Verkaufsregalen verbannt, weil die Industrie ein Milliardengeschäft mit Energiesparlampen witterte.» Zwei Drittel der einst 60 Angestellten musste er entlassen, 17 vorwiegend aus Bosnien stammende Mitarbeiter sind ihm geblieben. Einige Hunderttausend Glühbirnen stellen sie jedes Jahr her: von der einst allgegenwärtigen 40-Watt-Glühbirne P64 Deluxe mit ihrer Lebensdauer von 4000 Stunden bis zu komplexen technischen Signallampen für die Schweizerischen Bundesbahnen.
Im PDF zusätzlich:
- Wie Industrie und Politik der Glühbirne die Stromversorgung kappten – hat sich das Verbot gelohnt?
- Von der Gurke bis zum Staubsauger – trotz Brexit reguliert Brüssel weiter wie bisher
Schweizer Wirtschaft rüstet sich für den Aufbruch im Orient
Heute Freitag soll die Internationale Atomenergiebehörde bekannt geben, ob sich der Iran an die Auflagen des Nuklearvertrages gehalten hat. Noch im Januar könnten erste Sanktionen aufgehoben werden. Ist die Schweizer Wirtschaft bereit?
Ein Augenschein in Teheran und Isfahan und Gespräche mit Schweizer Iran-Experten, erschienen am 15. Januar 2016 in der Südostschweiz sowie der Aargauer Zeitung / Nordwestschweiz.
Stolz zeigt der Teppichhändler im Basar der Stadt Isfahan ein Foto, das ihn händeschüttelnd mit Sigmar Gabriel zeigt. Zwar habe der deutsche Wirtschaftsminister bei ihm nichts gekauft. «Ein paar Gassen weiter aber hat er ein Tuch und eine Tasche für seine Frau erworben. Die Handwerkskunst Isfahans ist weitherum bekannt!»
Überall im Iran ist bei unserem Besuch Ende November die Aufbruchstimmung spürbar. Von Teheran bis Shiraz, von Isfahan bis Yazd fiebern die Einwohner der bevorstehenden Aufhebung der Wirtschaftssanktionen entgegen, die das Land während Jahren so arg gebeutelt haben. Gabriel war im vergangenen Juli, nur Tage nach Unterzeichnung des Nuklearvertrages, das erste westliche Regierungsmitglied, das im Orient seine Aufwartung machte. Johann Schneider-Ammann, Schweizer Bundespräsident und Volkswirtschaftsminister, folgt ihm Ende Februar. In Teheran wird er den iranischen Präsidenten Hassan Rohani treffen.
Noch zuvor dürfte die erste Tranche der Sanktionen aufgehoben werden. Voraussetzung ist, dass die Internationale Atomenergiebehörde heute in Wien bestätigt, dass sich der Iran im halben Jahr seit Vertragsunterzeichnung an alle Auflagen gehalten und endgültig von der Entwicklung von Nuklearwaffen Abstand genommen hat. Erwartet wird, dass der Iran bald wieder als vollwertiges Mitglied der Staatengemeinschaft anerkannt wird – und dann der Run der Goldgräber so richtig losgeht.
«Der Wegfall der Sanktionen wird der Schweizer Exportwirtschaft einen neuen, grossen und chancenreichen Markt eröffnen», sagt Schneider- Ammann. Das glaubt auch Andreas Schweitzer, der seit 2009 in Teheran wohnt und Unternehmen berät, die im Iran investieren wollen. «Das Potenzial ist mit jenem der Türkei vergleichbar», sagt er. «Der Iran ist ein riesiges Land mit gut ausgebildeter Bevölkerung, die sich einen wirtschaftlichen Aufschwung herbeisehnt.» Gute Chancen ausrechnen könnten sich vor allem Pharmafirmen, die Tourismus- und Hotelbranche, die Kosmetik-, Nahrungsmittel und Verpackungsindustrie, der Energiesektor, die Baubranche und die Petrochemie, glaubt der mit einer Iranerin verheiratete Schweizer.
Sauna, WC-Pausen und das «geringste Übel»
Bis zuletzt haben Linke und Grüne an einem Geheimplan geschmiedet, um das Dreierticket der SVP zu umgehen. Doch das Parlament lässt sich nicht auf Spiele ein: Es kürt Guy Parmelin in nur drei Wahlgängen zum neuen Regierungsmitglied. Die Bundesratswahl in drei Akten.
Eine Reportage mit Analyse-Elementen, geschrieben gemeinsam mit Antonio Fumagalli und erschienen am 10. Dezember 2015 in der Südostschweiz sowie der Nordwestschweiz / Aargauer Zeitung.
Dunkelheit liegt über Bern, und Stunden vor der Wahl weiss niemand, wer neuer Bundesrat werden wird. Zwar gilt der Waadtländer SVP-Nationalrat Guy Parmelin als Favorit, doch hinter den Kulissen wird weiterhin an einem Geheimplan geschmiedet. So wie damals, 2007, als dies mit Eveline Widmer-Schlumpf so vorzüglich gelang. Nur dass Widmer-Schlumpf nun Thomas Hurter heissen soll.
Akt I – das Vorgeplänkel
Der Umworbene zeigt sich bester Laune im Hotel «Bellevue», wo sich Parlamentarier und Journalisten am Vorabend der Wahl zur traditionellen «Nacht der langen Messer» treffen. Am Nachmittag hat der Schaffhauser Nationalrat die SVP-Fraktionssitzung geschwänzt – und damit die Spekulationen weiter befeuert. «Hat es sich um eine Pflichtveranstaltung gehandelt?», fragt er zurück. «Ist man zur Teilnahme an Fraktionssitzungen gezwungen, so wie damals in der Schule?» Er habe nun mal Besseres zu tun gehabt. «Ich war im Fitnessstudio und in der Sauna.»
Der Alkohol fliesst, die Gespräche drehen sich im Kreis, bis die Bar um halb zwei Uhr morgens schliesst. Nur Norman Gobbi, einer der drei offiziellen SVP-Kandidaten, sitzt mit Unterstützern aus dem Tessin noch im Foyer. Mit ihnen: Toni Brunner. Irgendwann zieht der SVP-Präsident einen Pullover über, auf dem ein Schweizerkreuz und die Aufschrift «Ticino» prangen. Ist Gobbi der Wunschkandidat der SVP-Spitze? Oder ist es doch der Zuger Nationalrat Thomas Aeschi, der als verlängerter Arm Christoph Blochers gilt? An Parmelin denkt jetzt niemand.
Akt II – der Showdown
Die Nacht war kurz: Die letzten Parlamentarier kamen erst nach 3 Uhr ins Bett. Um 7 Uhr müssen sie bereits zur letzten Fraktionssitzung vor der Wahl antraben. Nun ist auch Hurter mit dabei. «Es hat sich gelohnt», sagt er wenig später. «Man hat uns erklärt, wann wir WC-Pausen einzulegen haben, ohne Wahlgänge zu verpassen.» Auch bei der Sitzordnung im Nationalratssaal lässt die SVP nichts anbrennen: Zur Rechten der Bündner Neo-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher sitzt Hurter, zur Linken Aeschi. Soll die Tochter des SVP-Patrons ein wachsames Auge auf die beiden werfen?
Im Dorf der Wind-Freunde
Nirgends ist die Grünliberale Partei so stark wie in der Bündner Gemeinde Haldenstein. Doch der Sitz von Nationalrat Josias F. Gasser ist akut gefährdet.
Eine Reportage, erschienen am 29. Juli 2015 in der Südostschweiz und der Nordwestschweiz / Aargauer Zeitung.
Josias F. Gasser steht am Fenster der zweiten Etage seines Firmengebäudes und zeigt über den Fluss: Dort drüben, auf der anderen Rheinseite, habe sein Onkel das Unternehmen 1948 in der Scheune des elterlichen Bauernhauses gegründet. Und dort hinten habe seine Grossmutter gewohnt, bei der er die Sommerferien verbracht, Schafe gehütet und Kirschen gepflückt habe. Gasser, man glaubt es ihm schnell, ist Haldensteiner durch und durch, auch wenn er in der Stadt Zürich aufgewachsen ist, auch wenn er im nahen Chur wohnt und als Nationalrat in Bern politisiert. Und auch wenn seine Baumaterialienhandlung mit ihren rund 125 Mitarbeitern auf der falschen Flussseite steht, seit sie sein Onkel 1959 übersiedelte. Nicht mehr in Haldenstein, sondern auf Churer Gemeindegebiet.
Dem Dorf an der Südostflanke des Calanda entgehen so Steuermillionen, wohlgelitten ist der 62-jährige Gasser trotzdem. Gegen sein Windrad mitten in der Rheintalebene gab es in Haldenstein kaum Opposition. Einzig ein paar Naturschützer warnten, Tausende Vögel könnten von der grössten Windenergieanlage der Schweiz zerstückelt werden. Doch eine Studie der Vogelwarte Sempach gab Gasser vor ein paar Wochen recht. Weder Vögel noch Fledermäuse lassen sich vom 119 Meter hohen und 317 Tonnen schweren Turm mit seinen 54,65 Meter langen Rotorblättern stören. 6,9 Millionen Franken liessen sich Gasser und sein Mitstreiter Jürg Michel die Windanlage vor zweieinhalb Jahren kosten. Im Jahresschnitt liefert sie 4,5 Millionen Kilowattstunden Strom. Gegenwärtig evaluieren die beiden Unternehmer mögliche Standorte für ein zweites Windrad.
Erfolgreiche Aussenseiter
Nirgends ist die Grüne Partei so stark wie in Stans – doch auch im Hauptort des Kantons Nidwalden dominieren Bürgerliche.
Eine Reportage, erschienen am 18. Juli 2015 in der Südostschweiz und der Nordwestschweiz / Aargauer Zeitung.
«Held ist, wer sein Leben Grossem opfert» – so steht es auf der Infotafel beim Winkelrieddenkmal am südlichen Rand des Stanser Dorfplatzes geschrieben. Ein Leitspruch, den auch Lukas Arnold und Verena Zemp für sich beanspruchen könnten, die vor dem Brunnen am anderen Ende des Platzes für ein Foto posieren. Einziger grüner Gemeinderat der eine, Ortsparteipräsidentin die andere. Denn auch wenn die Grünen bei den Nationalratswahlen vor vier Jahren nirgends besser abgeschnitten haben als hier, im Hauptort Nidwaldens, sind Arnold und Zemp doch Aussenseiter in einer bürgerlich dominierten Umgebung. Stans ist nicht viel grüner als andere Gemeinden.
Auf dem Dorfplatz, der einer der schönsten des Landes sein könnte, parkieren die Stanser zwischen Winkelriedbrunnen und -denkmal ihre Autos. 614 Personenwagen kommen auf 1000 Nidwaldner, autobegeisterter ist die Bevölkerung nur in Zug, im Tessin, im Wallis und im Kanton Schwyz. Grüne Anliegen haben es, man kann es nur schon an diesen Zahlen ablesen, auch in Stans schwer. Im Gemeinderat unterliegt Arnold gegen die Mehrheit von FDP, CVP und SVP immer, wenn nicht ohnehin alle gleicher Meinung sind.
«Die Winkelriedgeschichte imponiert mir, auch wenn sie bloss ein Mythos ist», sagt der 50-jährige Unternehmer. «Arnold Winkelried hat sich bei der Schlacht von Sempach von habsburgischen Lanzen aufspiessen lassen, um seinen Eidgenossen einen Vorteil zu verschaffen. Ohne unseren Einsatz für die Umwelt 1:1 damit vergleichen zu wollen: Auch wir Grünen setzen uns dafür ein, dass die Welt unserer Kinder eine noch bessere sein wird als unsere.»