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Zürcher Medienkonzern will Westschweizer Zeitung opfern
Da Tamedias Renditeerwarung nicht erfüllt wurde, droht dem traditionsreichen Westschweizer Boulevardblatt «Le Matin» das Aus.
Eine medienjournalistische Recherche, erschienen am 23. Mai 2018 in der Südostschweiz und der Aargauer Zeitung / Nordwestschweiz.
Nach 125 Jahren ist Schluss: Laut einer gut unterrichteten Quelle hat der grösste Schweizer Verlag Tamedia über Pfingsten den Entscheid gefällt, die gedruckte Ausgabe der traditionsreichen Westschweizer Tageszeitung «Le Matin» noch diesen Sommer einzustellen. Das Aus für das von Montag bis Samstag erscheinende Boulevardblatt käme nicht überraschend, aber schneller als zuletzt erwartet. So schrieb «Le Matin»-Chefredaktor Grégoire Nappey im Dezember auf seinem Facebook-Profil, es sei die Strategie von Verleger Pietro Supino, «Le Matin» bis in zwei Jahren nur noch digital herauszugeben. Und im März sagte eben jener Supino gegenüber dem Westschweizer Fernsehen RTS, «Le Matin» entspreche «nicht vollständig der strategischen Positionierung von Tamedia». Die langfristige Zukunft der Marke werde digital sein. «Es ist aber noch zu früh, um zu sagen, wann und wie.»
Nun scheint die Einstellung des Printprodukts beschlossene Sache zu sein, auch wenn der Zürcher Medienkonzern vorerst dementiert. «Tamedia hat noch keinen Entscheid über die Zukunft von ‹Le Matin› getroffen», sagte Sprecher Patrick Matthey gestern auf Anfrage der «Nordwestschweiz». Die Einstellung der Printausgabe sei ein mögliches Szenario, aber nicht das einzige. Auch wenn die Zeitung seit mehr als zwanzig Jahren rote Zahlen schreibe, sei «Le Matin» eine starke Marke, so Matthey. «An ihr wollen wir im digitalen Bereich so oder so festhalten, unabhängig davon, ob wir auch weiterhin eine Printzeitung herausgeben.» Streicht Tamedia die gedruckte Ausgabe, wird die ohnehin nicht sehr vielfältige Medienlandschaft der Romandie noch ärmer. Seit bald zwei Jahren jagt in der Westschweiz eine Hiobsbotschaft die andere. (…)
Die Nachricht, dass Tamedia wohl bereits über die Einstellung von «Le Matin» entschieden hat, überrascht den ehemaligen Chefredaktor des Blattes Peter Rothenbühler nicht: «Die Frage ist nicht, ob Supino die Printausgabe von ‹Le Matin› einstellt, sondern nur, wann dieser Entscheid kommuniziert wird.» Supino wisse, dass sein Konzern der Verlegerfamilie Lamunière vor zehn Jahren einen sehr hohen Preis für «Le Matin», «Tribune de Genève», «24heures» und weitere Zeitungen bezahlt habe, den er nie werde einspielen können. «Deshalb versucht der Geschäftsmann Supino seit Jahren, den besonders defizitären ‹Le Matin› zu verkaufen. Bis heute fand er keinen Interessenten.»
So traurig das absehbare Ende des gedruckten «Le Matin» sei: Man dürfe in der Westschweiz nun keinen Aufstand der Politik oder gar der Bevölkerung erwarten. «Die Romandie hat sich längst damit abgefunden, dass sie von Tamedia nichts Gutes erwarten kann», so Rothenbühler. «Man nimmt bloss resigniert zur Kenntnis, dass sich Pietro Supino nicht für das Welschland interessiert, sondern bloss für seine Gewinnmargen.»
Von SRF bis ZDF: Der «Staatsfunk» am Pranger
In der Schweiz stellt die No-Billag-Initiative die Existenz des Schweizer Radios und Fernsehens infrage. Doch auch anderswo in Europa geraten öffentlich-rechtliche Sender unter Beschuss. Inbesondere in Deutschland.
Ein Hintergrundartikel, erschienen am 17. Oktober 2017 in der Südostschweiz sowie der Aargauer Zeitung / Nordwestschweiz.
Die unheimliche Macht: Wie ARD und ZDF Politik betreiben», titelte das Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» kürzlich auf seiner Frontseite. Die Titelgeschichte war der bisherige Höhepunkt der Kritik, die seit Monaten auf die öffentlich-rechtlichen Sender einprasselt. Manchmal habe man den Eindruck, die beiden Anstalten machten ungefähr so Fernsehen, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel regiere, monierte der «Spiegel». «Irgendwo zwischen ‹Sie kennen uns›, ‹In der Ruhe liegt die Kraft› und kulturellem Wachkoma.» Das Unterhaltungsprogramm der beiden Sender scheine vor allem ein Ziel zu haben: «einen Mehltau der Vorhersehbarkeit über die Republik zu legen. Ein ewiges Immer-weiter-so.»
Und weiter wie bisher, das geht auf gar keinen Fall – da sind sich die Kritiker einig. Es ist ein seltsames Bündnis, das sich in dieser Angelegenheit gefunden hat: Auf der einen Seite kämpft die rechtspopulistische AfD, die ARD und ZDF «Lügenpresse» schimpft und die Rundfunkgebühr abschaffen möchte; auf der anderen Seite wettern Vertreter der privaten TV-Anstalten genauso wie jene der gedruckten Presse. Beispielsweise Mathias Döpfner, Chef von Deutschlands grösstem Verlag Axel Springer und Präsident des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger, der ARD und ZDF in Reden und Interviews als «Staats-Presse» bezeichnet und nicht vor Vergleichen mit Nordkorea zurückschreckt. Vor allem online fürchtet Döpfner die gebührenfinanzierten Sender – genauso wie sein Schweizer Pendant, Verlegerverbandspräsident Pietro Supino.
Dies nämlich ist die Gretchenfrage: Wer soll im Internet wie viel dürfen? Eine Onlinestudie von ARD und ZDF förderte vergangene Woche zutage, dass 14- bis 29-Jährige mittlerweile jeden Tag viereinhalb Stunden online sind und davon knapp zwei Stunden Medien konsumieren. Manfred Krupp, Intendant des Hessischen Rundfunks und Vorsitzender der ARD/ZDF-Medienkommission, leitete daraus Forderungen ab: «Wer für diese Generationen relevant bleiben will, muss ihnen attraktive Informations- und Unterhaltungsangebote auf ihren Plattformen machen.» Die privaten Verleger hingegen warnen vor einem arg verzerrten Wettbewerb, der das Überleben ihrer Unternehmen gefährde. Sie wollen, dass ARD, ZDF und SRG online nur dann längere Texte publizieren dürfen, wenn diese einen direkten Bezug zu einem Beitrag aufweisen. Zudem sollen sie online keinesfalls Werbung schalten dürfen.
Noch stärker als die deutschen Sender ist das Schweizer Radio und Fernsehen unter Druck. Voraussichtlich im kommenden Mai wird über die No-BillagInitiative abgestimmt, welche die Empfangsgebühren abschaffen möchte und deren Annahme das Ende der SRG bedeuten würde. Auch wenn National- und Ständerat das Volksbegehren deutlich verworfen haben und auch der Bundesrat ein Nein empfiehlt: Es dürfte in der Bevölkerung alles andere als chancenlos sein. Laut einer repräsentativen Umfrage stimmt ihm gegenwärtig gar eine relative Mehrheit von 47 Prozent sicher oder eher zu, während es bloss 37 Prozent sicher oder eher ablehnen wollen.