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Breaking Blues
Innovativer Online-Journalismus für die Masse: Mit diesem Anspruch startete «Nau.ch» vor drei Jahren. Doch unter dem Druck der Corona-Krise verriet die Firma ihre eigenen Leute.
Eine Recherche, erschienen am 31. Juli 2020 im Onlinemagazin Republik und geschrieben gemeinsam mit Philipp Albrecht.
Während der Pandemie schickt «Nau» fast alle seiner rund 50 Angestellten in die Kurzarbeit. Warum die Geschäftsleitung verhindern wollte, dass dieser Fakt an die Öffentlichkeit gelangt, ist unklar. Möglicherweise wollte der CEO mit seiner Reaktion verschleiern, dass die aufstrebende Jungfirma plötzlich auf staatliche Krisenhilfe angewiesen war. Es hätte als Zeichen von Schwäche gedeutet werden können – auch wenn im gleichen Zeitraum Hunderttausende andere Firmen ebenfalls Kurzarbeit beantragt hatten.
Besonders merkwürdig erscheint in diesem Zusammenhang der Abbau von 9 Stellen Ende Mai, obwohl das Instrument der Kurzarbeit Kündigungen gerade verhindern soll.
Nach Gesprächen mit über einem Dutzend Quellen aus dem Umfeld von «Nau» stellt sich heraus, dass die Entlassungen nur 15 Tage nach dem Ende der Kurzarbeitsphase ausgesprochen wurden. Und es steht der Vorwurf im Raum, dass die Nau Media AG die Kurzarbeitsentschädigung zumindest teilweise missbräuchlich bezogen haben könnte. Denn die Redaktorinnen wurden nach mehreren übereinstimmenden Aussagen dazu motiviert, Überstunden zu leisten.
CEO Kilchenmann stellt dies in Abrede. «Die Kurzarbeit und die Kündigungen stehen in keinem direkten Zusammenhang», schreibt er auf Anfrage. Die Kündigungen begründet er mit «Marktveränderungen». Was das genau bedeutet, lässt er offen.
«Redaktionen, die ihre Leser mit versteckter Werbung täuschen, beschädigen ihre Glaubwürdigkeit»
Medienministerin Simonetta Sommaruga pocht darauf, dass die Verleger journalistische Standards einhalten, wenn der Staat sie unterstützt. Und räumt ein, wie hilflos die Politik im Umgang mit Tech-Giganten wie Google und Facebook ist.
Ein Interview, erschienen am 29. Mai 2020 im Onlinemagazin Republik und geführt gemeinsam mit Bettina Hamilton-Irvine.
In Ihrem Gesetzesentwurf steht: Onlinemedien, die staatlich gefördert werden wollen, müssen journalistische Inhalte und Werbung klar trennen. Weshalb sagen Sie Native Advertising den Kampf an?
Dass Werbung klar gekennzeichnet wird, ist für mich zwingender Bestandteil journalistischer Standards. Redaktionen, die ihre Leser mit versteckter Werbung täuschen, beschädigen ihre Glaubwürdigkeit.
Sind Native Ads aus Ihrer Sicht denn ein gravierendes Problem geworden?
Ja. Ich beobachte seit einiger Zeit, dass Verlage redaktionelle Inhalte und Werbung vermischen und höchstens in ganz kleiner Schrift darauf hinweisen, wenn sie für einen Beitrag Geld erhalten. Das widerspricht journalistischen Standards.
Wie weit soll der Staat eingreifen in das Geschäftsmodell der Verleger?
All unsere Anstrengungen gründen auf der Überzeugung, dass Medien für die demokratische Debatte unverzichtbar sind. Umso mehr muss man sich auf ihre Professionalität verlassen können und darauf pochen, dass sie die journalistischen Standards einhalten.
Und wenn die Medien sich darum foutieren? Der Presserat, die brancheneigene Beschwerdeinstanz für medienethische Fragen, mahnt seit Jahren vergeblich.
Dann müssen wir Verstösse eben sanktionieren. Wie wir dem Gebot der Trennung zwischen Werbung und journalistischen Inhalten zum Erfolg verhelfen, spielt keine Rolle – wir klären das auf Verordnungsebene. Wichtig ist, dass es uns gelingt. Deshalb unterstützen wir in Zukunft auch den Presserat.
Lieber Staat, wir wären jetzt so weit
Zuerst aushungern, dann sich dem Bund an die Brust werfen: Die neue Strategie der Nachrichtenagentur Keystone-SDA zeigt, wohin sich die Schweizer Medienbranche entwickelt. Selbst eine totale Verstaatlichung wird nicht mehr ausgeschlossen.
Eine Recherche, erschienen am 20. Mai 2020 im Onlinemagazin Republik.
(…) Mitte Mai 2020 verkündete der Verwaltungsrat der Nachrichtenagentur Keystone-SDA via Mediencommuniqué: «Keystone-SDA fokussiert verstärkt auf das Kerngeschäft». Unter anderem wolle man die beiden «volatilen Geschäftsfelder» PR und Corporate Production ausgliedern oder verkaufen. Den Grund dafür kommuniziert die Unternehmensspitze offen: «Mit der Strategieanpassung und den eingeleiteten Massnahmen möchte der Verwaltungsrat das Terrain für eine weitergehende Förderung von Keystone-SDA ebnen.»
Heisst konkret: Aus einem profitorientierten soll ein Service-public-Unternehmen werden. Exakt so, wie es die streikenden Mitarbeiterinnen 2018 gefordert hatten.
Die vom Verwaltungsrat getroffenen Massnahmen markieren dabei bloss den Beginn von Umstrukturierungen, die die Ausrichtung der Nachrichtenagentur in den nächsten Jahren diametral verändern werden. Das zeigen Recherchen der Republik.
Mehrere mit den Vorgängen vertraute Personen bestätigen, dass der Verwaltungsrat von Keystone-SDA die Voraussetzungen schaffen wolle, damit die Agentur dereinst vollständig staatlich finanziert werden kann. Das hiesse, dass Keystone-SDA vom Bund nicht wie bisher pro Jahr einen tiefen einstelligen Millionenbetrag erhielte, sondern 18 bis 19 Millionen Franken. Diesen Betrag nimmt die Nachrichtenagentur derzeit schätzungsweise mit ihrem Basisdienst ein, der die Ressorts Inland, Ausland, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft und Vermischtes abdeckt.
Das Problem: Nur schon die vom Bundesrat beschlossene Verdoppelung der maximalen jährlichen Förderung von 2 auf 4 Millionen Franken war nicht unumstritten.
«Ein solidarischer Dividendenverzicht der gesamten Branche hätte geholfen»
Verleger Peter Wanner rechnet bei seiner CH Media mit einem Corona-bedingten Verlust von mindestens 50 Millionen Franken. Er hofft auf staatliche Hilfe und kritisiert die Konkurrenz für das Beharren auf Gewinnausschüttungen.
Ein Interview, erschienen am 29. April 2020 im Onlinemagazin Republik.
Er gehört zu den wirtschaftlichen Verlierern der Corona-Krise: Obwohl seine Fernsehsender mehr geschaut und seine Onlineportale mehr geklickt werden denn je, machen Peter Wanner die in kürzester Zeit erodierten Werbeerlöse zu schaffen. Fürchtet er gar um sein Lebenswerk, das er vor zweieinhalb Jahren mit der Gründung von CH Media gekrönt hat?
Im Gespräch erzählt der Verleger nicht nur von seinen Nöten während der Corona-Krise. Er schimpft auch über die SRG, tadelt Verlegerpräsident Pietro Supino und erklärt, warum er die Leserschaft umerziehen will. Weil Wanner mit seinen 76 Jahren altersbedingt zur Corona-Risikogruppe gehört, haben wir das Interview telefonisch geführt.
Herr Wanner, wie viel Geld hat Sie das Coronavirus bis jetzt gekostet?
Mehr als 10 Millionen Franken. Wie hoch die Summe am Ende sein wird, kann man noch nicht voraussagen.
Ihr Konzern erzielte bis anhin knapp die Hälfte seiner Erlöse im Werbemarkt. Im Krisenfall wird das zum Problem, streichen viele Unternehmen doch als Erstes ihre Werbebudgets zusammen.
Leider trifft das zu. Seit Mitte März sind die Werbeeinnahmen bei unseren Zeitungen, Radio- und Fernsehstationen massiv eingebrochen. Keine signifikanten Verluste hinnehmen mussten einzig unsere Onlineportale. Sie profitieren während der Pandemie von der erhöhten Aufmerksamkeit des Publikums, weshalb sie für Werbetreibende besonders attraktiv sind.
Haben Sie für sich eine Hochrechnung erstellt, wie hoch der Schaden der Pandemie ausfallen könnte?
Ich habe es versucht, aber es gibt zu viele Unbekannte. Alles hängt davon ab, wie lange die Wirtschaft brauchen wird, um nach dem Lockdown wieder auf Touren zu kommen – und ob es gelingen wird, eine zweite Welle an Infektionen zu verhindern. So oder so rechne ich mit einem Corona-bedingten Erlösrückgang von mindestens 50 Millionen Franken.
Wäre CH Media in diesem Fall in der Existenz gefährdet?
Wenn die Situation zwölf Monate so weiterginge – ja, dann ginge es ans «Läbige». Es wäre enorm schwierig und eine Herkulesaufgabe, auch nur die Hälfte der entgangenen Erlöse einzusparen. Um überleben zu können, wäre das aber unabdingbar. Erste Massnahmen sind ergriffen worden. Je nach Verlauf der Pandemie müssen wir aber noch radikaler sparen.
Die Schadensbilanz
Ignazio Cassis hat die Aussenpolitik so schnell und so radikal umgekrempelt wie keiner vor ihm. Er hat bewährte Werte über Bord geworfen und eine Panne nach der anderen produziert. Jetzt ist der Bundesrat in Panik wegen seiner möglichen Abwahl. In seinem Departement hofft man darauf.
Eine Schadensbilanz, erschienen am 3. Dezember 2019 im Onlinemagazin Republik.
Er ist in die Defensive geraten. Und spürbar verzweifelt. Schon im September erzählten Parteikollegen und enge Mitarbeiterinnen aus dem Aussendepartement, Ignazio Cassis fürchte sich davor, abgewählt zu werden. Am Abend des 20. Oktobers aber, als der für schweizerische Verhältnisse epochale Wahlsieg der Grünen feststand, habe sich seine Anspannung in Panik verwandelt. (…)
Der 58-Jährige hat in den Wahlkampfmodus geschaltet. Vorsorglich macht er sich in Interviews zum Opfer einer Mehrheit, die mit Minderheiten nicht umzugehen wisse. Als Tessiner sei er benachteiligt, das spüre er als Bundesrat so stark wie nie zuvor. «Die Minderheiten sind sympathisch für die 1.-August-Reden», sagt er. «Wenn es aber um Machtteilung geht, spielen sie keine Rolle mehr.» Zur Zielscheibe sei er geworden, weil er einer anderen Kultur und Sprachregion entstamme. Die Herkunft unterscheide ihn von seinen Bundesratskolleginnen. «Und Unterschiede stören.»
Stimmt das? Und falls ja: Ist es die ganze Wahrheit? Oder ist es doch primär Cassis’ Politik, ist es seine Amtsführung?
Die Republik hat in den vergangenen drei Monaten mit mehr als einem Dutzend ehemaligen und aktiven Diplomaten gesprochen, mit diversen Angestellten des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA), mit langjährigen Beobachterinnen der Aussenpolitik, Wirtschaftsvertretern, Gewerkschafterinnen und FDP-Mitgliedern.
Das Bild, das sich aus diesen Gesprächen ergibt: Niemand hat die Schweizer Aussenpolitik jemals in so kurzer Zeit so grundlegend umgekrempelt wie Ignazio Cassis. Gemeinsam mit seinem Generalsekretär und ehemaligen Geheimdienstchef Markus Seiler, der zu einer Art Schattenminister geworden ist, spielt er seit gut zwei Jahren Powerplay: gegen die eigenen Diplomaten, gegen seine Bundesratskolleginnen, gegen bewährte Werte der Schweizer Aussenpolitik.